Magyria 02 - Die Seele des Schattens
können? Der von heilendem Licht erfüllte Schnee hatte Rékas Leben gerettet. Der König des Lichts hatte die Pforte geschlossen, durch die Kunun und seine Schatten nach Budapest gelangen konnten, um sich hier aus dem Blut der Menschen ihre Kraft zu holen, den einzigen Schutz vor dem Licht.
Nur Atschorek war noch hier. Atschorek, wütend und rachsüchtig. Jeden Tag hatte Hanna damit gerechnet, dass die Vampirin auftauchte und irgendetwas Schreckliches tat. Dass sie sich nun bei Réka gemeldet hatte, war nicht gut. Gar nicht gut. Eisige Furcht griff nach dem Herzen des Mädchens. Sie schluckte und bemühte sich, ihrer Stimme einen heiteren, normalen Tonfall zu geben.
»Kunun wollte, dass du mitkommst«, sagte sie. »Dass du alles aufgibst und mit ihm gehst. Du hast dich dagegen entschieden. Nun ist er weg. Mehr gibt es nicht zu sagen.«
»Du lügst«, zischte Réka und senkte die Stirn, als wollte sie gleich zum Angriff übergehen. »Ich würde überall mit ihm hingehen. Ich liebe Kunun mehr, als du dir überhaupt vorstellen kannst.«
»Mein Gott, Réka, du bist fünfzehn und das auch erst seit zwei Wochen. Du gehörst hierher, zu deiner Familie.« Sie seufzte. Mehr konnte sie dem Mädchen einfach nicht sagen. »Halte dich fern von Atschorek, ja? Bitte, vertrau mir.«
»Sie hat uns eingeladen!«, trumpfte Réka auf. »Mich und meine Freundinnen. Und ich werde hingehen. Du kannst mich nicht davon abhalten. Versuch es erst gar nicht. Und all das, was du mir nicht verrätst, das wird sie mir sagen!«
»Das befürchte ich«, murmelte Hanna.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie das verhindern sollte.
Ihr Zimmer war leer. Im ersten Moment erschrak Hanna. War Atschorek schon hier gewesen, bei ihnen im Haus? Hatte sie etwa …? Ihr wurde noch kälter. Wenn ihre Feindin erfuhr, was Hanna hier versteckte – nicht was, sondern wen …
Aus Attilas Zimmer ertönte ausgelassenes Gelächter. Vorsichtig drückte Hanna die Tür auf.
Dort waren sie. Beide. Attila, ihr achtjähriger Schützling, der seinen ganzen Fuhrpark auf dem Teppich aufgebaut hatte, und neben ihm, völlig ins Spiel versunken, der Junge, bei dessen Anblick ihr Herz schneller schlug.
Mattim. Er hob den Kopf und sah sie an, der Blick seiner grauen Augen wolkenweich. Er las in ihrem Gesicht wie in einem Buch. Sofort sprang er auf und fasste sie bei den Schultern.
»Hanna? Alles in Ordnung?«
»Atschorek«, brachte sie nur heraus.
»Wo? Hier im Haus?«
»Nein«, beruhigte sie ihn schnell. »Sie hat sich Réka und ihren Freundinnen gezeigt, in der Stadt. Und ihr das goldene Herz gegeben.«
Über sein Gesicht glitt ein Schatten. »Sie ist also da … Nun denn, das wussten wir.«
»Mattim.« Hanna hielt ihn fest, als könnte er im nächsten Moment verschwinden. »Bitte, tu nichts Unüberlegtes. Vielleicht lässt sie uns tatsächlich in Ruhe, vielleicht …«
»Spielst du jetzt weiter?«, fragte Attila laut dazwischen.
Mattim wandte sich lächelnd dem Jungen zu. »Gleich. Versprochen. Ich muss hier nur kurz etwas klären. – Sie hat Réka nicht bedroht?«
»Sie hat sie eingeladen.«
Er nickte, um seine Lippen trat ein harter Zug. »Damit hat sie uns bedroht. Wie sie sehr wohl weiß. Ich werde zu ihr gehen und die Sache klären.«
»Klären? Um Gottes willen, was willst du denn da klären?« Sie konnte nicht deutlicher werden, nicht wenn Attila zuhörte, auch wenn er tat, als würde er sich nur für seine Autos interessieren.
»Ich kann mich nicht ewig verstecken, Hanna. Das weißt du.«
Aber wenn er so dicht vor ihr stand, sein Gesicht so nah vor ihrem, dass sie seine Wärme spüren konnte, so nah, dass sein Atem ihre Haut streifte, wollte sie genau das tun. Ihn verstecken. Ihn in ihrem Zimmer einschließen und Zäune und Mauern errichten, damit seine grausame Schwester nicht hereinkam und ihn verletzte, so wie sie es schon einmal getan hatte. Als wenn irgendetwas Atschorek aufhalten könnte, die wie alle Schatten die Fähigkeit besaß, durch Wände zu gehen.
»Geh nicht hin, bitte. Lass uns abwarten. Sie hat Réka nur das Herz wiedergegeben, sonst nichts. Vielleicht weiß sie nicht, dass du hier bist, vielleicht denkt sie, du wärst in Magyria geblieben.«
»Soll sie das wirklich glauben – dass du und Réka schutzlos seid?« Er küsste Hanna zärtlich auf den Mund, nur eine ganz leichte Berührung, die eine Hitzewelle durch ihren Körper jagte. »Sie soll ruhig wissen, dass ich hier bin und euch verteidigen werde.« Er lächelte, aber seine Augen
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