Magyria 02 - Die Seele des Schattens
»In den Käfig mit ihm!«
Einige Schatten kamen auf den Platz geeilt, den großen Käfig zwischen sich. Vorsichtig beugten sie sich über den Wolf. Einer der Vampire seufzte vor Erleichterung, als das Raubtier nicht nach ihnen schnappte. Wie tot lag es da, ein großer Haufen aus schwarzem Fell. Sie hoben den Wolf auf und schoben ihn auf die eiserne Bodenplatte. Die Gitterklappe fiel rasselnd zu.
»Verdammt«, sagte Kunun laut.
Eine tiefe Schramme an der Wange verunstaltete sein vorher so makellos schönes Gesicht.
»Du solltest dir etwas überlegen«, schimpfte Kunun wütend. »Ich habe nicht gesagt, dass du jede blödsinnige Idee in die Tat umsetzen sollst, ohne sie mit mir zu besprechen. Das ist ein Schattenwolf, verflucht! Du kannst nicht einfach mit ausgestreckter Hand auf einen durchgedrehten Schattenwolf losmarschieren.«
»Ich hatte eine Waffe!«
»Die du erst hättest einsetzen können, wenn er seine Zähne an deinem Hals gehabt hätte. Herrje, Mattim! Und du«, wutschnaubend wandte er sich an Atschorek, »du lässt ihn einfach so gehen? Wenn du vorhattest, unsere Familie zu dezimieren und einen deiner Brüder umzubringen, hättest du Bela auch einfach erschießen können.«
Atschorek senkte den Kopf. »Ich dachte, Mattim würde es hinbekommen«, sagte sie leise. Dann bemerkte sie die Wunde in Kununs Gesicht.
»Oh nein, Kunun!«
»Ich weiß«, sagte der Schattenprinz grimmig. »An meinem Arm habe ich noch mehr.«
»Ich wäre an ihn herangekommen«, sagte Mattim leise.
»Verschwinde einfach nur.«
Der Junge wandte sich zum Gehen. Jetzt war er schon wieder schuld. Groll brannte in seinem Herzen, während er den Männern folgte, die den Käfig aus dem Hof zum Fahrstuhl trugen.
Etwas in den erschrockenen Gesichtern der Vampire ließ ihn herumfahren.
Vor ihnen stand schwankend eine blutüberströmte Gestalt. Jemand hatte Zoltan ein Tuch um den Hals geschlungen und ihm das Gesicht gewaschen, aber die riesigen dunklen Flecken auf der Kleidung verrieten, was mit ihm passiert war. Mit den Fingern zerrte er an dem Halstuch, während er in Todesangst um sich stierte. Sein Blick blieb an Mattim haften, und so etwas wie Erkennen trat in seine dunklen Augen. Er streckte die Hand aus und versuchte zu sprechen, brachte aber nur einen gequälten, gurgelnden Laut heraus. Dann torkelte er rücklings von ihnen fort durch die Eingangshalle.
»Die Tür!«, rief Goran und setzte ihm nach. »Lasst ihn um Himmels willen nicht auf die Straße!«
Zoltan wich den Händen aus, die ihn packen wollten, kehrte um und floh in panischem Schrecken in den Innenhof. Er heulte auf, denn dort standen Kunun und Atschorek, während sich hinter ihm am Eingang die anderen Schatten drängten.
»Was machen wir mit ihm?«
»Oh nein, nein«, stöhnte Atschorek. »Die Sonne geht gleich auf, wir müssen ihn in eine der Wohnungen bringen.«
»Nein.« Kunun hielt sie am Arm fest. »Lass ihn.«
»Aber … er gehört jetzt zu uns. Unwiderruflich!«
»Lass ihn«, wiederholte er.
»Das ist Mord«, flüsterte sie.
»Nein«, widersprach Kunun. »Getötet haben wir ihn schon.«
Zoltan flüchtete in eine der Ecken und brachte einen der steinernen Löwen zwischen sich und die anderen. Eine fahle, schleichende Helligkeit kündigte den Morgen an. Mattim konnte nicht anders, als hinzusehen, wie der neue Tag Einzug hielt. Er begann sanft und grau, ein milder, freundlicher Frühlingstag.
Der Mann, der längst hätte tot sein sollen, stand da und starrte hinauf in den Himmel. Er schien weder die anderen Schatten noch seine Peiniger mehr wahrzunehmen. Ohne sich zu rühren blickte er empor. Das Tuch glitt von seiner Schulter und gab den Blick auf die schreckliche Wunde frei. Dann schien er auf einmal von innen her zu leuchten – und war verschwunden.
ACHT
Budapest, Ungarn
Kunun verzog das Gesicht, während Atschorek ihm das Hemd auszog. Die Krallen des Wolfs hatten tiefe Spuren auf seiner Brust und seinem Arm hinterlassen.
»Es hat schon aufgehört zu bluten«, sagte sie. »Tut es sehr weh?«
»Es geht.«
»Wenn du das zugibst, müssen die Schmerzen unerträglich sein.«
Sie drehte seinen Kopf mit beiden Händen und besah sich die Verletzung an seiner Wange. »Du hast noch mal Glück gehabt. Er hat nach deiner Kehle geschnappt. Er hätte dir das halbe Gesicht wegreißen können. Mattim ist kleiner als du, ihn hätte er erwischt«, fügte sie hinzu.
»Ich weiß.« Seine Stimme war so grau wie seine Gesichtsfarbe. Er starrte in den
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