Magyria 02 - Die Seele des Schattens
»Vielleicht« würde sie heute Nacht nicht nach Hause kommen.
Kunun plant irgendetwas …
Ob es etwas mit Réka zu tun hatte?
Unruhig strich Hanna durchs Haus. Es gab niemanden, den sie hätte anrufen können, außer Rékas Freundinnen, um zu fragen, ob sie dort sei. Zuerst wählte sie Dorinas Nummer. Aus dem Mädchen war erst einmal nichts Brauchbares herauszubekommen. Sie schien verwirrt, kicherte und begann dann, das Blaue vom Himmel herunterzulügen.
»Kann ich bitte mit deiner Mutter sprechen?«
Das wirkte.
»Ist Réka immer noch nicht zurück? Wo ist sie denn?«, fragte Dorina.
»Das versuche ich gerade herauszufinden. Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
»Sie ist in ein Auto eingestiegen«, erzählte das Mädchen. »In einen schwarzen BMW .«
»Was? Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
»Aber es war ihr Freund. Du tust ja, als wäre sie mit einem Fremden mitgefahren.« Die Schülerin klang jetzt leicht verunsichert. »Er ist ein echter Prinz.«
Der BMW . Das hieß, dass auch Atschorek dabei gewesen war. Was hatte sie vor? Was plante Kunun?
Hanna hätte am liebsten Mattim angerufen und ihn angefleht, nach dem Rechten zu sehen, wusste aber nicht, wie sie ihn erreichen sollte. Seit er fort war – kaum ein paar Tage war das her –, hatte sie darauf gehofft, dass er wieder zurückkam. Dass er plötzlich vor der Tür stand. Dass sie nicht wieder zum Haus am Baross tér gehen musste, wo sie zweifellos Kunun treffen würde.
Manchmal vermisste sie Mattim so sehr, dass sie kaum atmen konnte.
»Hanna?«, fragte Attila. »Du hörst ja gar nicht zu!«
Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er ihr von der Schule erzählte.
»Ich muss jetzt Abendbrot machen«, sagte sie. »Hilfst du mir, den Tisch zu decken?«
Natürlich stellte Attila auch einen Teller für Réka hin. Hanna brachte es nicht über sich, ihm zu sagen, dass seine Schwester nicht zum Essen kommen würde. Auch Mónika gegenüber machte Hanna gute Miene zum bösen Spiel.
»Sie übernachtet bei einer Freundin.«
Ihre Gastmutter zog die Stirn kraus. »Das hast du ihr erlaubt? Das sollte sie eigentlich mich fragen.«
»Es schien wichtig zu sein. Eine Geburtstagsparty oder so.«
Hanna war nicht stolz darauf, dass sie mittlerweile lügen konnte, ohne rot zu werden. Wenn Réka bei Kunun war … was hätte es genützt, die Polizei zu rufen? Die Szigethys zu ängstigen? Möglicherweise war alles ganz harmlos und der Schattenprinz lieferte das Mädchen morgen wieder ab. Ja, wenn sie nur daran geglaubt hätte, dass jemand wie er nichts Böses im Schilde führte!
Wie sollte man sich selbst beruhigen, wenn man wusste, dass überhaupt nichts in Ordnung war? Auch wenn man anderen etwas vorschwindeln konnte, half das herzlich wenig dabei, sich selbst zu belügen.
In dieser Nacht tat Hanna kaum ein Auge zu. Sie horchte ständig darauf, ob Réka nicht vielleicht doch nach Hause kam. Am Frühstückstisch – allein mit Attila – hatte sie keinen Appetit.
»Du isst gar nichts«, beschwerte er sich. »Am Morgen muss man tüchtig essen. Sonst kann man nicht richtig lernen.«
»Du hast ja recht.« Sie knabberte an einem Brötchen, das ihr unerträglich trocken vorkam, als das Telefon klingelte.
»Réka? Bist du das?«
»Hanna.« Nicht Réka. Kunun. Ihr Herz begann wild zu schlagen, ihre Hände zitterten, fast wäre ihr der Hörer aus den Fingern gerutscht.
»Was willst du? Was ist mit Réka passiert?«
Er antwortete nur auf die erste Frage. »Ich will, dass du herkommst. Sofort.«
»Das geht nicht. Ich muss Attila zur Schule bringen.«
»Wer ist das?« Der Junge stellte sich vor sie, riss neugierig die Augen auf. »Sprichst du mit Mattim?«
»Nein«, sagte sie zu beiden, zu Attila vor ihr und zu Kunun am anderen Ende der Leitung.
»Bring das Kind weg«, sagte Kunun. »Dann kommst du zu mir.«
Er legte auf. Wie betäubt schaute sie in Attilas erwartungsvolles Gesicht.
»Wer war das?«, fragte er noch mal.
»Wo ist dein Ranzen? Ich fahre dich jetzt zur Schule.« Das war das Wichtigste. Sie versuchte, sich nur darauf zu konzentrieren. Attila zur Schule bringen, die Aufgabe, für die sie in Ungarn war. Denk nicht an Kunun. Denk nicht daran, was er wollen könnte. Bestimmt hat es nichts mit Rékas Verschwinden zu tun.
Ihre Hände zitterten, während sie das Lenkrad hielt, und an der Schule kam sie kaum in die Parklücke. Sie sah zu, wie Attila davonhüpfte. Danach atmete sie tief durch und machte sich auf den Weg.
Der Löwe über der
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