Magyria 02 - Die Seele des Schattens
Eingangstür fletschte die Zähne; Hanna sah deutlich das Gebiss in dem halb offenen Maul. Nein, dieser Löwe hatte noch nie gelächelt. Nur sie in ihrer Naivität hatte das geglaubt.
Atschorek öffnete, bevor das Mädchen sich für eine der Klingeln entscheiden konnte. Der Blick der Schattenfrau war nicht zu deuten. »Komm rein, Hanna«, sagte sie und hielt die Tür weiter auf. Sie lächelte, aber es war dasselbe wie mit dem Lächeln des Löwen, irgendetwas stimmte nicht damit.
»Réka ist verschwunden«, sagte Hanna und rührte sich nicht von der Stelle.
»Ach, ist sie das? Sie kommt sicher bald nach Hause. Mach dir um Réka keine Sorgen«, meinte Atschorek, nicht im Mindesten überrascht. »Sie hatte einen kleinen Zusammenbruch. Aber keine Angst, es geht ihr gut. Ihr ist nichts geschehen. Sie wurde nicht einmal gebissen. Was ein Fehler gewesen sein könnte, wie du dir denken kannst. Aber sie ist hoffentlich zu vernünftig, um ihre Umgebung mit wilden Vampirgeschichten zu belästigen.«
»Hanna ist hier? Welch seltenes Glück.« Kunun trat neben seine Schwester. Er sah lange nicht so gefährlich aus wie sonst, so strahlend und stark, sondern wirkte ungewöhnlich müde. Ein großes Pflaster auf seiner Wange lenkte von seinen schwarzen Augen ab. »Wir haben keine Zeit für Diskussionen. Komm rein, Hanna.«
»Sie macht nicht den Eindruck, als wolle sie über die Schwelle treten«, bemerkte Atschorek.
Kunun richtete seinen dunklen Blick auf Hanna, und sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Es gab keine Möglichkeit, dem König der Schatten zu entkommen. Sie schluckte und trat in die Eingangshalle, es kam ihr vor wie ein unwiderruflicher Schritt. Sie würde es bereuen, das ahnte sie, und doch, wie und wohin hätte sie fliehen sollen? So lange hatte sie auf diesen Moment gewartet – sie war fast erleichtert, dass es nun endlich so weit war.
»Wollen wir uns nicht setzen?«, fragte Kunun mit ausgesuchter Höflichkeit. Er fasste Hanna am Ellbogen und geleitete sie in den Innenhof. Jemand hatte eine schmiedeeiserne Bank so platziert, dass man von hier aus einen guten Blick auf die Löwenstatuen und den Brunnen hatte. An einem heißen Sommertag wäre dies ein wundervolles Plätzchen zum Lesen gewesen.
»Was willst du von mir?« Sie fragte nicht nach Réka. Auch nicht nach Mattim. Kunun hatte ihn weggeschickt, da war sie sich sicher. Niemand würde kommen, um ihr beizustehen.
Sie setzte sich gehorsam auf die glatten, lackierten Bretter der Sitzfläche und zwang sich, nicht auszuweichen, als Kunun neben ihr Platz nahm, sich ihr zuwandte. Es war, als hätte man sie mit einem Panther zusammen in einen Käfig gesperrt, aber sie tat, als merkte sie nicht, dass ihre Knie sich berührten.
»Folgendes«, sagte er, »erwarte ich von dir.«
Sie unterbrach ihn nicht, während er von dem Boot sprach, von dem Wolf und von der Stadt Akink. Es war dermaßen abenteuerlich, dass sie kaum glauben mochte, was sie da hörte, aber nicht das war es, was das Blut in ihr zum Kochen brachte.
»Niemals«, sagte sie und hob den Blick. Sie schaute Kunun direkt an. »Ich bin nicht blöd. Ich verstehe zwar nicht, was ihr damit bezweckt, aber das ist sicher irgendeine Teufelei, die Mattim ganz und gar nicht gutheißen würde. Ich mache das nicht.«
Der Schattenprinz schüttelte den Kopf. »Was Mattim davon hält, steht hier nicht zur Debatte. Du wirst es tun, weil ich es dir sage. Du bringst den Wolf in die Stadt. Nicht mehr und nicht weniger. Heute noch.«
Wenn er sie so ansah … Nein, wollte sie rufen, nein, nein und noch mal nein! Aber ihre Auflehnung blieb ihr im Halse stecken. Mattim würde von ihr erwarten, dass sie kämpfte, aber sie wusste nicht, wie. Am bittersten schmeckte die Erkenntnis, dass sie ihn enttäuschen musste. Sie war gar nicht so stark, wie er dachte. Sie war nur ein Mädchen, dem die Angst in den Knochen steckte.
»Es wird alles gut, Hanna«, sagte Kunun sanft. »Wenn du nach Hause kommst, wird Réka schon zurück sein. Und wenn ich mit dir zufrieden bin, werde ich Mattim sogar erlauben, dass er sich hin und wieder mit dir trifft.« Wie schön er lächelte. In diesem Moment konnte Hanna sogar verstehen, warum Réka diesen Mann abgöttisch liebte. Seine Stimme klang so zärtlich, so unendlich liebevoll, wenn er log.
»Der Schattenwolf wird am anderen Ufer irgendjemanden beißen«, sagte er. »Du wirst bei dieser Person bleiben. Halte dich an ihr fest, dann gelangt ihr zusammen zurück nach Budapest. Du musst dir die
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