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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Druck herrschte.
    Joel hatte der Klang ihres Stimmwandlers nicht gefallen. In den letzten Minuten meines Lebens will ich nicht diese Maschinen-Stimme hören , hatte er gesagt. Also war sie bei ihm geblieben und hatte geatmet. Als er die Luke geöffnet hatte, frierend und ängstlich und des Wartens auf den Tod überdrüssig, waren sie sicher schon bei dreißig Atmosphären gewesen.
    Und danach war sie voller Wut zur Küste zurückgekehrt.
    Es hatte Tage gedauert. Ihr Aufstieg entlang des Meeresbodens war sicher langsam genug gewesen, um ihren Körper auf natürlichem Wege zu dekomprimieren. Die Gase in ihrem Blut wären sanft durch die Alveolarmembranen gedrückt worden – wenn ihr verbliebener Lungenflügel damals in Funktion gewesen wäre. Doch das war nicht der Fall gewesen. Was war also mit den letzten Überbleibseln der Hochdruckatmosphäre der Forcipiger in ihrem Blutkreislauf passiert? Die Tatsache, dass sie noch am Leben war, bewies, dass sie sich nicht mehr in ihrem Innern befanden.
    Der Gasaustausch beschränkt sich nicht nur auf die Lunge, fiel ihr wieder ein. Auch die Haut atmet und der Verdauungstrakt. Natürlich nicht so schnell wie zwei Lungenflügel. Und weniger effizient.
    Vielleicht nicht effizient genug …
    »Was stimmt nicht mit mir?«, fragte sie ruhig.
    »Sie haben vor kurzem zwei kleinere Embolien in Ihrem Gehirn erlitten, die gelegentlich Ihr Sehvermögen beeinträchtigen«, sagte die Medzelle. »Höchstwahrscheinlich gleicht Ihr Gehirn diese Lücken mit gespeicherten Bildern aus. Allerdings müsste ich eine Episode direkt beobachten, um sicher sein zu können. Außerdem haben Sie in jüngerer Vergangenheit jemanden verloren, der Ihnen nahestand. Ein Trauerfall kann ein Faktor sein, der visuelle Halluzi …«
    »Was meinst du mit ›gespeicherte Bilder‹? Willst du damit sagen, dass seien Erinnerungen?«
    »Ja«, erwiderte die Maschine.
    »Das ist Unsinn.«
    »Es tut mir leid, dass Sie dieser Meinung sind.«
    »Aber das ist nie passiert, okay?« Diese stumpfsinnige Maschine – warum streite ich mich überhaupt mit ihr? »Ich erinnere mich, verdammt noch mal, an meine Kindheit. Ich könnte sie nicht vergessen, selbst wenn ich es wollte. Und diese Visionen, die stammten von jemand anderem. Sie waren so …«
    … glücklich …
    »… sie waren anders. Vollkommen anders.«
    »Langzeiterinnerungen sind häufig nicht verlässlich. Sie …«
    »Halt die Klappe!«, fauchte sie. »Behebe einfach das Problem.«
    »Diese Zelle ist nicht für mikrochirurgische Eingriffe ausgerüstet. Ich kann Ihnen Ondansetron verabreichen, um die Symptome zu bekämpfen. Ich möchte Sie allerdings darauf hinweisen, dass bei Patienten, bei denen umfangreiche synaptische Neuverknüpfungen durchgeführt wurden, Nebenwirkungen wie leichtes Schwindel gefühl …«
    Sie erstarrte. Neuverknüpfungen?
    »… Doppelsehen, Halo-Effekt …«
    »Halt!«, sagte sie. Die Medzelle verstummte.
    Auf der Anzeige funkelte die Wolke aus violetten Sternen geheimnisvoll vor dem Hintergrund ihres Gehirns.
    Sie berührte sie mit dem Finger. »Was ist das hier?«
    »Eine Reihe chirurgischer Läsionen und damit verbundener Infarkte«, erwiderte die Zelle.
    »Wie viele?«
    »Siebentausendvierhundertdreiundachtzig.«
    Sie holte tief Luft und verspürte eine vage Verwunderung darüber, wie ruhig ihr Atem war. »Willst du damit sagen, dass jemand 7483 Mal in mein Gehirn geschnitten hat?«
    »Es gibt keinen Hinweis auf eine körperliche Penetration. Die Läsionen deuten auf gerichtete Mikrowellenimpulse mit Tiefenwirkung hin.«
    »Warum sagst du mir das erst jetzt?«
    »Sie haben mich darum gebeten, mich lediglich auf die Faktoren zu konzentrieren, die mit Ihren Halluzinationen im Zusammenhang stehen.«
    »Und diese … diese Läsionen haben damit nichts zu tun?«
    »Nein.«
    »Woher weißt du das?«
    »Die meisten der Läsionen befinden sich nicht im Bereich der visuellen Nervenbahnen. Die übrigen blockieren die Übertragung von Bildern, erzeugen sie jedoch nicht selbst.«
    »Wo befinden sich die Läsionen?«
    »Die Läsionen befinden sich entlang der Nervenbahnen, die das limbische System mit dem Neocortex verbinden.«
    »Welchen Zweck haben diese Nervenbahnen?«
    »Diese Nervenbahnen sind inaktiv. Sie sind durch die chirurgischen Eingriffe unterbrochen …«
    »Welchen Zweck hätten sie, wenn sie aktiv wären?«
    »Die Aktivierung von Langzeiterinnerungen«, sagte die Zelle.
    Ob Gott. Oh Gott.
    »Gibt es noch etwas, was wir für Sie tun

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