Mahlstrom
Internetfauna und zur anderen aus Spamfiltern. Eigentlich hätte niemand in der Lage sein dürfen, so etwas zu tun, nicht einmal die Finnenbosse. Aber Vive hatte es selbst gesehen, auf ihrer eigenen (nur ein ganz klein wenig illegalen) Armbanduhr. Und alle, die sie kannte, hatten es ebenfalls auf ihren Uhren gesehen oder von irgendeinem Matchmaker gehört oder über ihren persönlichen Visor erfahren, der ihnen eigentlich Drogen oder Levi's hätte verkaufen sollen: Lenie Clarke nähert sich Yankton. Lenie Clarke steckt in Schwierigkeiten. Lenie Clarke braucht deine Hilfe.
Sofort. An der Ecke Cedar und West Second.
Was immer Lenie Clarke war, sie musste äußerst mächtige Freunde haben, dass sie so etwas durchziehen konnten. Plötzlich hatte Vive den Rifter-Chic sehr ernst genommen. Lindsey hatte gesagt, dass sie wahrscheinlich alle ausgenutzt wurden. Jemand, der enormen Einfluss besaß, versuchte Trittbrettfahrer als Tarnung für etwas ganz anderes zu mobilisieren – Carnegie allein wusste, was. Und Lindsey hatte vermutlich recht. Und wenn schon! Sie mochten Lockvögel für etwas sein, aber dieses Etwas kam hierher, und was immer es war, Vive wollte dazugehören.
Es würde einfach fantastisch werden.
Les beus wussten ebenfalls davon.
In der Wartehalle drängten sich zwei Arten von Uniformen: Polizei und Rifter. Les beus waren bis an die Zähne mit Elektroschockern, Mechfliegen und gepanzerten Exoskeletten bewaffnet. Die Rifter dagegen hatten ihre falschen Taucherhäute und ihre billigen weißen Kontaktlinsen. Vive wusste, dass alles andere nur gespielte Tapferkeit war. Der Mahlstrom hatte gerufen, und sie waren gekommen, vertrauensvoll und adrenalingeladen. Inzwischen war ziemlich offensichtlich, dass Vertrauen nicht einmal nötig war. Die Anwesenheit der Gesetzeshüter war Beweis genug dafür, dass irgendetwas Großes im Gange war.
Bis jetzt war noch nichts passiert. Beide Seiten behaupteten immer noch ihre Stellungen, vielleicht um den verstreuten Passanten gegenüber, die noch nicht den Schwanz eingezogen und sich verkrümelt hatten, so zu tun, als gäbe es keinen Grund zur Beunruhigung. Die Polizei hatte ganze Bereiche der Wartehalle abgesperrt. Die Polizisten trieben die Massen zwar noch nicht in eine bestimmte Richtung, aber sie hatten sie eindeutig eingekesselt. Die Rifter erkundeten ihrerseits das Terrain, strömten durch Hallen und über Rollbänder, hüpften zwischen den Linien aus Exoskeletten umher, vermieden es dabei aber stets, etwas zu tun, das die Antikörper später als Provokation bezeichnen konnten. Mechfliegen schwärmten wie große schwarze Eier über der Menge aus und nahmen die Stimmung vor dem Spiel auf.
Alles in allem benahmen sich beide Seiten sehr zivilisiert. Was in gewisser Weise nachvollziehbar war, da keine Seite in erster Linie wegen der anderen gekommen war. Vive nahm an, dass sich das rasch ändern würde, sobald die Hauptattraktion auftauchte.
Ihre Armbanduhr gab ein Piepsen von sich. Das war überraschend: Normalerweise störte die Gegenseite immer die Frequenzen, lange bevor überhaupt etwas geschah. Damit wollte sie verhindern, dass sich die Leute spontan zusammenrotteten.
»Ja?«
»He, wir sind durchgekommen!« Lindseys Stimme.
»Ja«, sagte Vive. »Die Mächte der Dunkelheit sind heute wohl nicht ganz so auf Draht.«
»Ich habe vergessen zu sagen, dass ich Senf will. Oh, und Jen möchte ein Samosa.«
»Zum Hotdog dazu oder stattdessen?«
»Stattdessen.«
»Okay.« Lindsey und Jen befanden sich an der Front und behielten die gegnerischen Manöver im Auge, während Vive Vorräte besorgte. Inzwischen waren sie alle Veteranen, Profis mit zwei oder drei Aktionen unter dem Gürtel. Jeder von ihnen hatte schon mindestens einmal Tränengas oder einen Elektroschocker zu spüren bekommen. Jen hatte sogar mal eine Nacht in einem Pazifizierer verbracht, woraus sie alle gelernt hatten, wie wichtig es war, sich vor dem Spiel richtig satt zu essen. Kriegsgefangene erhielten mindestens zwölf Stunden lang nichts zu essen – was schlimm genug war, aber noch schlimmer, wenn man sich vor der Party mit Endorphinen zugedröhnt hatte. Wenn man seinen Grundumsatz erhöhte, bekam man schnell einen richtigen Heißhunger.
An der gegenüberliegenden Wand der Wartehalle stand eine Reihe von Verkaufsautomaten: Medzellen, Kleiderspender und Vitrinen mit abgepackten Lebensmitteln. Vive bahnte sich einen Weg durch die Menge, auf einen holografischen Döner zu, der sich wie ein essbarer
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