Mahlstrom
müssen, die die Krankheit vermutlich überhaupt erst so manipuliert hatte, dass man ihre lausigen Gene kaufen musste Vives Vater zufolge war sogar irgendwann einmal die Polizei noch unter Kontrolle gewesen.
Natürlich waren Eltern nicht unbedingt der Inbegriff an Verlässlichkeit. Ihre ganze Generation war viel zu heiß darauf, sich mit Krokodil- und Pflanzenorganellen vollzupumpen, um sich um die Tatsachen zu scheren. Nicht dass Vive etwas gegen eine gute Gesundheit hatte – sie nahm schon seit Jahren Krokodilpräparate. Hin und wieder schluckte sie sogar mal Proglottiden und die Eier von Spulwürmern – die Vorstellung, dass sich diese Würmer in ihren Eingeweiden einnisteten, gefiel ihr zwar nicht, aber heutzutage brauchte das Immunsystem jedes Training, das es bekommen konnte.
Außerdem war das etwas anderes, als seinen Genotyp mit der DNA einer Eidechse zu vermischen, selbst wenn Pfizer diesen Monat auf die Behandlung einen besonderen Rabatt gewährte und wäre es nicht wunderbar, nicht mehr ständig auf all diese Drogen angewiesen sein zu müssen, Liebes ?
Manchmal fragte sich Vive, ob ihre Eltern überhaupt noch wussten, was eine Spezies war. Und das war auch das Problem: Anstatt in der Welt aufzuräumen, verwandelten sich die Menschen in Coprophagen. In ein paar Jahren würde die ganze Menschheit zur Hälfte Kakerlake sein. Wenn bis dahin nicht längst der Meltdown eingesetzt hatte.
Und der Meltdown war sicher noch das geringere Übel. Es war besser, alles abzureißen und noch einmal von vorn zu beginnen. Damit zur Abwechslung mal alle dieselben Grundvoraussetzungen hatten.
Deswegen war Aviva Lu hier und wartete darauf, dass Lenie Clarke auftauchte.
Denn Lenie Clarke war die Meltdown Madonna.
Eigentlich war sich Aviva Lu nicht ganz sicher, was Lenie Clarke wirklich war. Sie schien eine Ein-Mann-Armee zu sein. Sie war gestorben und wieder auferstanden. Sie hatte aus purer Ungeduld das Jahrhundertbeben ausgelöst, weil sie das Warten auf die längst überfällige Apokalypse, die stets bedrohlich über ihnen hing, aber nie eintrat, satt hatte. Im Alleingang hatte sie die Flüchtlingszone mobilisiert und eine Revolte angezettelt, deren Existenz N'AmPaz immer noch leugnete. Feuer folgte ihr auf Schritt und Tritt, und jeder, der sich ihr entgegenstellte, wurde innerhalb einer Woche in Asche verwandelt.
Vive hatte deshalb immer angenommen, dass Lenie Clarke in Wirklichkeit nur eine Erfindung sei.
Natürlich gab es viele, die anderer Meinung waren. Leute, die Stein und Bein darauf schworen, dass Lenie Clarke tatsächlich existierte und nicht nur eine Marketingikone war, um den Rifter-Chic mit Gewalt wiederzubeleben. Es hieß, die Meltdown Madonna sei selbst eine Rifterin – eine der Tiefseetaucherinnen, die von N'AmPaz ausgebildet worden waren –, aber am Grunde des Ozeans sei etwas mit ihr geschehen, etwas Unbegreifliches. Das Jahrhundertbeben war nur ein Symptom dessen gewesen, was sie verändert hatte, sagte man. Nun war Lenie Clarke eine Zauberin, die organische Materie in Blei verwandeln konnte oder etwas in der Art. Sie wanderte durch die Welt und verbreitete die Apokalypse in ihrem Kielwasser, und die Herren, denen sie einst gedient hatte, ließen nichts unversucht, um sie aufzuhalten.
Eine hübsche Geschichte – he, eine Apokalypse, die die Finnenbosse bedrohte, war schon längst überfällig –, doch Vive hatte schon zu viele von der Sorte gehört. Lenie Clarke war die Nächste Große Sensoriums-Persönlichkeit. Lenie Clarke war eine Quanten-KI, die den Carnegie-Protokollen zum Trotz gebaut worden war. Lenie Clarke war eine Erfindung der Firmenbosse selbst, ein Buhmann, der die unruhig gewordene Zivilbevölkerung zum Gehorsam zwingen sollte. Ein paar Tage lang war Lenie Clarke sogar eine Mikrobe gewesen, die aus dem Wostoksee entkommen war.
In jüngster Zeit waren die Geschichten viel einheitlicher geworden. Soweit Vive das feststellen konnte, war Lenie Clarke seit ein paar Wochen nur noch die Meltdown Madonna. Wahrscheinlich hatten sich die Absatzstrategen auf die Version geeinigt, mit der sie die meisten falschen Taucherhäute verkaufen konnten oder so etwas. Und warum auch nicht? Der Look war in, die Augen waren einfach der Hammer, und Vive war genauso modebewusst wie jede andere.
Das hatte sie zumindest gedacht, bis der ganze verdammte Mahlstrom mit einer einzigen Stimme zu sprechen begann.
Das war schon ziemlich abgefahren gewesen. Der Mahlstrom bestand zu einer Hälfte aus
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