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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Heiliger Gral in der Luft drehte.
    Jemand packte sie von hinten.
    Bevor sie reagieren konnte, befand sie sich im Innern einer der Medzellen und wurde gegen ein Sensorpaneel gedrückt. Eine Frau mit schulterlangem blondem Haar hielt sie fest, eine Hand gegen ihr Brustbein gedrückt. Sie gehörte nicht zum Team. Sie trug einen Visor über den Augen und einen Rucksack und sah auch sonst nicht wie eine Rifterin aus. Eine wütende Passantin vielleicht, die in dem Gedränge stecken geblieben war.
    Die Tür der Medzelle schloss sich zischend hinter ihr und sperrte den Lärm von draußen aus. Die Frau lehnte sich zurück und schuf dadurch etwas Platz in dem beengten Raum.
    »Was ist das?«, fragte die Frau.
    »Ich würde sagen, das ist ziemlich unhöflich«, gab Vive zurück. »Außerdem könnte man es wahrscheinlich als Kidnapping bezeichnen. Nicht dass diese …«
    »Warum bist du …« Die Frau hielt inne. »Wozu die Aufmachung? Was geht hier vor sich?«
    »Eine Straßenparty. Sie haben wohl keine Einladung erh …«
    Die Frau lehnte sich wieder etwas dichter an sie heran. Vive verstummte. Irgendetwas an der ganzen Situation stimmte sie nachdenklich.
    »Antworte mir«, sagte die Verrückte.
    »Wir … wir sind Rifter«, erklärte Vive.
    »Ja, klar.«
    »Lenie Clarke ist in der Stadt. Haben Sie es denn noch nicht gehört?«
    »Lenie Clarke.« Die Verrückte nahm die Hand von Vives Brust. »Tatsächlich?«
    »Tatsächlich!«
    Plötzlich drang von draußen ein leises Rauschen herein, wie von einer fernen Brandung. Die Irre schien es nicht zu bemerken.
    »Das ist verrückt.« Sie schüttelte den Kopf. »Und was genau werdet ihr tun, wenn Lenie Clarke auftaucht?«
    »Hören Sie, wir sind nur hier, um zu schauen, was passiert. Ich denke mir die Threads nicht aus, okay?«
    »Werdet ihr euch ein Autogramm holen? Oder ein Gramm Fleisch oder zwei ergattern, wenn es denn für alle reicht?«
    Plötzlich klang ihre Stimme ausdruckslos und furchterregend.
    Sie könnte mich umbringen , dachte Vive.
    Sie bemühte sich, ihre eigene Stimme freundlich und vernünftig klingen zu lassen. Sogar sanftmütig: »Wir wollen Ihnen nichts tun. Wir wollen niemandem etwas tun.«
    »Tatsächlich?« Die Verrückte beugte sich noch weiter vor. »Bist du dir da ganz sicher? Hast du überhaupt die leiseste Ahnung, wer diese Lenie Clarke wirklich ist?«
    Vive ergriff die Flucht.
    Es war kein Plan. Jedenfalls kein besonders guter. In der Medzelle war kaum genug Platz für sie beide, und die Tür befand sich hinter der Verrückten. Sie konnte nicht um sie herum gehen. Deshalb sprang Vive nach vorn, wie ein Hund, der in die Enge getrieben worden war, und versuchte verzweifelt, sich an der Frau vorbeizudrängen. Sie prallten beide gegen die Tür, die gehorsam aufglitt.
    Im Bruchteil einer Sekunde hatte Vive die Szenerie erfasst: eine Mechfliege in der Nähe, die aufgezeichnete Warnungen ausspuckte, dass die Menge auf geordnete Weise zerstreut werden sollte. Die Bewegungen der Menge waren nicht mehr länger vage und diffus, sondern konzentriert. Sie wurde zusammengedrängt wie eine Schule Krill in einem Netz. Die Gespräche verstummten, einzelne Schreie waren zu hören.
    Das Viehtreiben hatte begonnen.
    Vives Schwung schleuderte die Frau einen knappen Meter vor die Tür der Zelle, bevor die Menge sie zurückstieß. Durch den Rückprall wurden sie beide wieder in die Zelle zurückbefördert. Vive versuchte, unter dem Arm der Frau hindurchzutauchen, verspürte jedoch plötzlich einen heftigen Schmerz über dem Auge …
    »Au!«
    … und eine Hand schloss sich um ihre Kehle und schob sie nach hinten. Sie wurde von den Füßen gehoben, und irgendein namenloses Partikel der Menge trampelte ihr auf die Beine, ehe sie sie mit einem Aufschrei anzog. Die Tür glitt wieder zu und dämpfte den Lärm der Außenwelt zu einem schwachen Dröhnen.
    Oh, verflucht …
    Mit angewinkelten Beinen saß Aviva Lu auf dem Boden der Medzelle und zwang sich, den Blick nach oben wandern zu lassen. Die Beine der Verrückten. Der Schritt der Verrückten. Es schien ewig zu dauern, bis sie die Augen erreichte, und Vive fürchtete sich vor dem, was sie dort sehen …
    Moment mal …
    Dort, links unterhalb des Brustbeins der Verrückten – ein Riss in ihrer Kleidung und das harte, halbmondförmige Schimmern von Metall.
    Daran habe ich mich geschnitten. Sie hat etwas Metallenes an ihrer Brust. Es ragt aus ihrer Brust heraus …
    Die Hand der Verrückten. Sie hielt den Visor, der in dem Gedränge

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