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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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versammelte Menge: »Lasst uns bitte fünfzehn Minuten Vorsprung, Leute. Das Letzte, was wir brauchen, ist eine ganze Prozession, die in der Decke herumrumort, okay? Fünfzehn Minuten, dann könnt ihr so viel Lärm machen, wie ihr wollt. Wenn ihr die Party verlassen wollt, heißt das.« Sie wandte sich an Vive. »Kommst du mit?«
    Vive schüttelte den Kopf. »Ich habe mich mit Jen und Lindsey drüben am Springbrunnen verabredet.«
    »Wie du willst. Wir verschwinden von hier.« Die junge Frau bildete mit den Händen einen Steigbügel und wandte sich an Clarke: »Soll ich Sie hochheben?«
    »Nein, danke«, sagte die Rifterin. »Das schaffe ich schon.«
     
    Aviva Lu hatte jede Menge Erfahrung mit Krawallen. Sie verbrachte die restliche Zeit bis zum Ende des Aufruhrs an die Wände und in Ecken gedrückt, wo die Turbulenzen weniger stark waren und man sich orientieren und das Gleichgewicht wahren konnte, ohne niedergetrampelt zu werden. Les beus brachten in Rekordzeit die schwere Artillerie zum Einsatz. Das Letzte, was Vive sah, bevor sie in Gewahrsam genommen wurde, war eine Mechfliege, die die Menge aus der Luft mit Halothan besprühte. Es spielte keine Rolle mehr. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht schlief sie ein.
    Als sie wieder aufwachte, befand sie sich jedoch nicht mit den anderen in einer Zelle. Sie war in einem kleinen weißen Raum, der keine Fenster hatte und abgesehen von dem Untersuchungstisch, auf dem sie lag, unmöbliert war. Die Stimme eines Mannes sprach aus den Wänden zu ihr. Es war eine freundliche Stimme, die unter besseren Umständen sogar sexy gewesen wäre.
    Der Mann, dem die Stimme gehörte, wusste mehr über Vives Rolle bei dem Krawall, als sie erwartet hatte. Er wusste, dass sie Lenie Clarke leibhaftig begegnet war. Und dass sie bei der Zerstörung der Mechfliege mitgewirkt hatte. Vive nahm an, dass er das von Lindsey oder Jennifer erfahren hatte, die wahrscheinlich ebenfalls gefangen genommen worden waren. Aber der Mann sprach weder über Vives Freundinnen noch über sonst jemanden. Es schien ihn nicht einmal sonderlich zu interessieren, was Lenie Clarke gesagt hatte, worüber Vive ziemlich erstaunt war. Sie hatte ein richtiges Kreuzverhör erwartet, mit Induzierern, Neurosplicern und allem drum und dran. Aber nein.
    Der Mann schien sich eigentlich nur für die Schnittwunde über Vives Auge zu interessieren. Hatte Clarke ihr die zugefügt? Wie eng war der Kontakt zwischen ihnen gewesen? Vive hatte ihn mit naheliegenden Kontern mit offensichtlichen lesbischen Obertönen abgespeist, aber tief in ihrem Innern begann sie sich ernsthaft Sorgen zu machen. Die Stimme setzte nicht auf die übliche Einschüchterungstaktik. Sie drohte ihr nicht oder behandelte sie herablassend oder erzählte ihr, wie viele synaptische Neuverknüpfungen nötig wären, um sie in eine brave Bürgerin zu verwandeln. Sie klang nur sehr traurig darüber, dass Aviva Lu so dumm gewesen war, sich in diese ganze Lenie-Clarke-Geschichte verwickeln zu lassen.
    Sehr traurig, weil – obwohl der Mann es nicht laut aussprach – er nun nichts mehr für sie tun konnte.
    Aviva Lu saß zitternd auf dem Tisch in dem viel zu weißen Raum und machte sich in die Hosen.

Kreuzigung mit Spinnen
    Hier ist Patricia Rowan. Ken Lubin benutzt gerade das Telefon, das sich am Ende des Korridors vor ihrem Büro befindet. Sagen Sie ihm bitte, dass ich Sie beide sehen möchte. Ich befinde mich im Besprechungszimmer Nummer 411 auf der Verwaltungsebene.
    Er wird Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten.
    Sechsundzwanzig Stunden und vierzehn Minuten.
    Tatsächlich befand sich Lubin in der Terminalecke an der Treppe und hatte das Headset des Telefons aufgesetzt. Bisher war anscheinend niemand auf ihn aufmerksam geworden.
    »Was machen Sie da?«, fragte Desjardins, als er sich ihm von hinten näherte.
    Lubin schüttelte den Kopf. »Ich versuche, jemanden anzurufen. Aber es geht niemand ran.« Er nahm das Headset ab.
    »Rowan ist hier«, sagte Desjardins. »Sie … sie will uns sehen.«
    »Ja.« Lubin seufzte und kam auf die Beine. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber in seiner Stimme schwang Resignation mit.
    »Hat ja auch lange genug gedauert«, sagte er.
     
    Zwei vorgefertigte Behandlungsräume – Drahtgitterwürfel, die von den Strahlern an der Decke in grelles Licht getaucht wurden. Wenn man sie aus dem richtigen Winkel betrachtete, schillerten ihre Wände wie die Oberfläche einer Seifenblase. Ansonsten waren die Dinge in ihrem Innern –

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