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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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jetzt.«
    »Warum?«
    »Keine Ahnung.«
    Lubin ging zum Schachbrett hinüber. Ein halbes Dutzend zylinderförmige blaue Icons leuchteten an den Stellen, wo Zivilisten festgehalten wurden, um bei den fortlaufenden Ermittlungen zu helfen .
    »Natürlich haben wir noch längst nicht genug Stichproben aus der gesamten Bevölkerung zusammen«, fuhr Burton fort. »Und wir konzentrieren uns auf die offensichtlichen Groupies. Die mit den Kostümen. Es gibt sicher noch jede Menge andere, die Zivilkleidung tragen. Aber von den Leuten, die wir bis jetzt verhört haben, hat keiner etwas gewusst. Clarke könnte eine ganze Armee um sich versammeln, wenn sie wollte. Aber soweit wir feststellen konnten, hat sie bislang nicht einmal um ein Butterbrot gebeten. Das ist völlig verrückt.«
    Lubin setzte wieder das Headset auf. »Ich würde sagen, dass ihr diese Taktik bisher ganz gute Dienste leistet«, erwiderte er leise. » Sie jedenfalls scheint sie bis jetzt an der Nase herumzuführen.«
    »Wir haben noch mehr Verdächtige«, sagte Burton. »Jede Menge. Wir werden sie schon finden.«
    »Viel Glück.« Die taktische Anzeige in Lubins Visor war seltsam farblos – ach ja, richtig. Die Augenkappen. Er richtete den Blick auf die blauen Zylinder, die im Innern der Zone leuchteten, und veränderte die Einstellungen an seinem Headset, bis sie wieder Farbe annahmen. Welch klare, vollkommene Formen – jeder von ihnen eine eindeutige Verletzung der Bürgerrechte. Es überraschte ihn oft, wie wenig Widerstand Zivilisten solchen Maßnahmen entgegensetzten. Unschuldige wurden zu Hunderten ohne Anklage festgehalten. Abgeschnitten von ihren Freunden und ihrer Familie und – zumindest im Falle derjenigen, die sich das hätten leisten können – jeglichem Rechtsbeistand. Alles für einen guten Zweck, natürlich. Schließlich musste doch jeder einsehen, dass das Überleben der Menschheit wichtiger war als die Bürgerrechte. Die üblichen Verdächtigen waren sich allerdings nicht im Klaren darüber, was auf dem Spiel stand. Soweit sie wussten, ging es bei dem Ganzen nur mal wieder darum, dass sich ein paar Rowdys wie Burton im Auftrag des Staates wichtig machten.
    Dennoch hatten nur wenige Widerstand geleistet. Vielleicht waren sie inzwischen von den ganzen Quarantänen und Stromausfällen und den unsichtbaren Grenzen, die die BRIKS ständig aus heiterem Himmel errichtete, darauf konditioniert worden. Von einer Sekunde auf die nächste konnten sich die Gesetze ändern, und der Teppich wurde einem unter den Füßen weggezogen, nur weil der Wind irgendein exotisches Unkraut über sein akzeptables Verbreitungsgebiet hinausgeweht hatte. Dagegen konnte man nicht ankämpfen. Gegen den Wind kam niemand an. Man konnte sich lediglich anpassen. Die Menschen verwandelten sich in Herdentiere.
    Oder vielleicht hatten sie inzwischen auch einfach nur akzeptiert, dass sie schon immer Herdentiere gewesen waren.
    Nicht so Lenie Clarke. Irgendwie schwamm sie gegen den Strom. Dem geborenen Opfer, so passiv und nachgiebig wie Seegras, waren plötzlich Dornen gewachsen, und seine Stiele waren hart wie Stahl geworden. Lenie Clarke war eine Mutante. Dieselbe Umgebung, die aus allen anderen Korken gemacht hatte, die sich im Strom treiben ließen, hatte sie in Stacheldraht verwandelt.
    Ein weißer Diamant tauchte in der Nähe der Ecke Madison und La Salle auf. »Wir haben sie«, sagte das Comlink mit einer vom Rauschen verzerrten Stimme, die Lubin nicht erkannte. »Jedenfalls möglicherweise.«
    Er klinkte sich in den Kanal ein. »Möglicherweise?«
    »Der Schnappschuss einer Sicherheitskamera im Souterrain eines Einkaufszentrums. Dort unten gibt es keine Sensoren für elektromagnetische Strahlung. Wir können uns also nicht ganz sicher sein. Allerdings haben wir eine halbe Sekunde lang ein Dreiviertelprofil erwischt. Die Bayes'schen Filter haben eine 82-prozentige Wahrscheinlichkeit errechnet.«
    »Können Sie den Block abriegeln?«
    »Nicht automatisch. Es gibt keinen Hauptschalter oder so etwas.«
    »Also gut, dann machen Sie es von Hand.«
    »In Ordnung.«
    Lubin wechselte den Kanal. »Technikabteilung?«
    »Ja bitte.« Sie hatten eine Standleitung zum Stadtentwicklungsbüro eingerichtet. Die Leute am anderen Ende besaßen selbstverständlich nur die notwendigsten Informationen. Sie wussten nicht, was genau auf dem Spiel stand, kannten keinen Namen, der der Zielperson menschliche Züge verliehen hätte. Ein gefährlicher Flüchtling in der Innenstadt und keine weiteren

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