Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts

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Wasser vor der Küste. Die Haie gehorchten ihren Befehlen. In der Nacht kam sie an Land und stahl Kinder, um sie an ihre Anhänger zu verfüttern. Jemand hatte ihr Kommen vorhergesehen oder es zumindest als Teil einer Weissagung erkannt; ein Prophet, hieß es. Vielleicht war es aber auch nur ein Mann, der genauso verrückt war wie die Frau, von der er unablässig redete. Sein Name war Amitav .
    Aus irgendeinem Grund war keines dieser Ereignisse von einer der Mechfliegen in der Gegend beobachtet worden. Das allein war für Perreault Grund genug, neunzig Prozent davon zu verwerfen. Sie begann sich zu fragen, wie viel ihre eigenen Nachforschungen womöglich dazu beigetragen hatten, die Mühle in Gang zu setzen. Sie hatte einmal gelesen, dass sich Informationen ab einem bestimmten Grenzwert zu verselbstständigen begannen.
    Neun Tage, nachdem Perreault die Frau in Schwarz zum ersten Mal gesehen hatte, kam eine indonesische Mutter von vier Kindern lange genug aus ihrem Zelt, um zu behaupten, die Meerjungfrau sei aus dem Zentrum des Bebens selbst hervorgegangen.
    Einer ihrer Söhne sagte daraufhin, er hätte gehört, es sei genau andersherum gewesen.

Hohes Tier
    Natürlich war es keine große Sache. Den Statistiken zufolge starb jede halbe Sekunde jemand. Ein paar davon mussten einfach während seiner Schicht das Zeitliche segnen. Und wenn schon? Für jeden Menschen, den er umbrachte, rettete Achilles Desjardins jeden Tag zehn anderen das Leben. Jeder, der sich über solche statistischen Werte beschwerte, konnte sich die Kugel geben.
    Genau das hatte er jetzt vor. Wenn die Klientel der Bar nur nicht so sehr dem verdammten 20. Jahrhundert verhaftet gewesen wäre.
    Pickering's Pile war ein Zylinder im Innern eines Würfels, fünfzig Meter unter dem abgeschliffenen Granit des Kanadischen Schildes versenkt. Der Würfel war als Lagerstätte für nuklearen Abfall gebaut worden, nachdem der Permafrostboden zu tauen begonnen hatte. Öffentliche Proteste und die Ausbreitung der Zivilisation nach Norden hatten ihm dieses Schicksal erspart. Dieselben Faktoren hatten ihn jedoch zu einem profitablen Standort für eine unterirdische Drink'n'Drug-Bar gemacht. Pickering's Pile war in eine durchsichtige Acrylröhre hinein gebaut worden, die von der Decke der Hauptkammer herabhing und drei Stockwerke umfasste. Der Raum jenseits der Röhre war geflutet worden, und man hatte überall Leuchtstäbe angebracht, die das kobaltblaue Leuchten verbrauchter Brennstäbe imitieren sollten. Schillernde Schmetterlinge flatterten durch die Bar. Ihre funkelnden Flügel warfen sich gegenseitig Daten zu. Feuchte Baumsteigerfrösche krochen in kleinen Wasserbecken auf den Tischen umher, winzige, glänzende Puzzles in Grün, Rubinrot und Petroleumschwarz.
    Hier unten war es friedlich. Pickering's Pile war ein umgekehrtes Aquarium, eine kühle, grüne Grotte. Desjardins stieg in seine Tiefen hinab, wann immer er etwas Aufheiterung brauchte. Jetzt saß er an der kreisförmigen Bar im zweiten Stockwerk und fragte sich, wie er es vermeiden konnte, mit der Frau neben sich ins Bett zu gehen.
    Er wusste, dass das Thema früher oder später zur Sprache kommen würde. Nicht weil er sonderlich gut aussah, was ganz sicher nicht der Fall war. Und auch nicht, weil die Leute ihn wegen seines Nachnamens für einen Quebecer hielten, was er tatsächlich einmal gewesen war. Nein, er war zum Objekt der Begierde geworden, weil er diesem dunkelhäutigen Rorschachtest mit den langen Beinen gegenüber – sie hatte sich ihm als Gwen vorgestellt – zugegeben hatte, dass er ein Gesetzesbrecher war. Sie hielt das für cool. Sie schien ihn nicht von seinem kurzen Moment der Berühmtheit in den Medien her zu kennen. Das war vor zwei Jahren gewesen, und heutzutage konnten sich die meisten Leute schon kaum noch erinnern, was sie am Tag zuvor zum Abendessen gegessen hatten. Aber das spielte keine Rolle. Achilles Desjardins hatte einen Fan gewonnen.
    Nicht dass sie ein schlecht aussehender Fan gewesen wäre, ganz und gar nicht. Dreißig Sekunden, nachdem sie sich angefangen hatten zu unterhalten, hatte er sich bereits gefragt, wie sie wohl aussehen würde, gebeugt über die Ottomane in seinem Wohnzimmer. Noch einmal dreißig Sekunden später hatte er sich im Geist ein ziemlich gutes Bild von ihr gemacht. Er wollte sie, keine Frage; er wollte nur nicht sie .
    Seltsamerweise war sie wie einer dieser Tiefseetaucher-Cyborgs von N'AmPaz gekleidet.
    Die Verkleidung war überzeugend, wenn auch