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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Schmetterlinge fort, die sie nach Anzeichen für illegale Sinnesbeeinträchtigung beschnüffelten. »Ich hasse diese Dinger.«
    »Nun, du nimmst tatsächlich ein bisschen viele Mittel durcheinander. Es trägt nicht unbedingt zur Atmosphäre bei, wenn du über die Bar kotzt.«
    »Ach, du bist nicht korrekt!« Sie rieb den Daumen gegen den Zeigefinger, um sich den Froschsaft in die Haut einzumassieren. »Ganz zu schweigen davon, dass du vom Thema abgewichen bist.«
    »Was für ein Thema?«
    »Das Schuldgefühl , erinnerst du dich?« Sie beugte sich näher an ihn heran: »Ich höre Dinge, du hörst Dinge. Eine Art Retrovirus, habe ich recht? Es sitzt irgendwo im Hirnstamm und zwingt dich dazu, dich zu benehmen.«
    Es war alles geraten. Sie wusste nichts über die Chemie der Schuld. Wenn er ihr etwas über die Wechselwirkungen zwischen GSH und den synaptischen Vesikeln erzählte, würde er wahrscheinlich nur einen verständnislosen Blick ernten. Sie hatte keine Ahnung von genetisch veränderten Toxoplasmoseerregern oder den kleinen Klumpen umgekehrter reverser Transkriptasen, die den ganzen Prozess überhaupt erst in Gang brachten. Sie wusste es nicht, und selbst wenn, dann begriff sie es jedenfalls nicht. Man konnte über diese Dinge nichts wissen, wenn man es nicht tatsächlich in sich gespürt hatte.
    Sie kannte nur den Begriff Retrovirus, und selbst darüber war sie sich nicht ganz im Klaren.
    »Nein«, sagte er. »Falsch geraten. Tut mir leid.« Es war nicht einmal gelogen. Das Virus war schließlich nur der Überträger.
    Sie verdrehte die Augen. »Ich wusste, dass du es mir nicht sagen würdest. Das tun sie nie … ich wusste es!«
    »Also, was hat es mit diesem Taucher-Outfit auf sich?« Plötzlich erschien es ihm eine gute Idee, das Thema zu wechseln.
    »Rifter-Chic.« Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. »Solidarität durch Mode.«
    »Wie, sind die Rifter jetzt etwa politisch?«
    Das schien sie ein wenig aufzuheitern. »Du musst dich doch daran erinnern. Du verbringst doch sicher nicht deine ganze Zeit damit, die Welt zu retten, oder?«
    Damit hatte sie recht. Und tatsächlich erinnerte er sich daran, dass es vor ein paar Monaten irgendeinen Aufruhr gegeben hatte, nachdem es einem gewieften Journalisten gelungen war, die Geschichte an den Zensoren von N'AmWire vorbeizuschmuggeln. Wie sich herausstellte, hatte die NB Inzestopfer und Kriegsveteranen für ihre Tiefsee-Geothermalstationen angeheuert, unter der Annahme, dass den chronischen Stress, den die dortige Umgebung erzeugte, am besten Menschen aushalten konnten, die (wie hatten es die Sprecher ausgedrückt?) von Kindheit an darauf konditioniert waren. Es hatte den üblichen öffentlichen Aufschrei gegeben, wobei die Reaktionen zwischen zwei Extremen schwankten: Wie können sie es wagen, die Opfer der Gesellschaft für ein paar Megawatt auszubeuten? Und: Wie können sie es wagen, das Stromnetz in die Hände von an paar Psychos und posttraumatischen Verrückten zu legen?
    Eine Weile war es ein ziemlicher Skandal gewesen. Aber dann war in der Zone ein neuer Stamm des Pferdeenzephalitis-Virus ausgebrochen, und irgendjemand hatte die Epidemie auf eine verdorbene Charge Verhütungsmittel in den Cyclern zurückgeführt. Und im Augenblick steckte natürlich immer noch allen wegen des Erdbebens im Westen der Schreck in den Knochen. Die Leute hatten die Rifter und ihre Probleme längst vergessen.
    Zumindest hatte er das gedacht. Aber nun saß diese Frau neben ihm, und wer wusste schon, woher sie ihre Modetipps bekam …
    »Hör mal«, sagte sie. »Ich möchte wetten, dass es ganz schön anstrengend ist, ständig gegen die Kräfte der Entropie anzukämpfen. Willst du nicht mal eine Pause machen und zur Abwechslung einmal dem zweiten Gesetz der Thermodynamik gehorchen !«
    »Die Entropie ist keine Kraft. Ein weit verbreitetes Missverständnis.«
    »Red' nicht so viel. Unten gibt es ein paar Zimmer. Ich bezahle die erste Stunde.«
    Desjardins seufzte.
    »Was ist?«, fragte Gwen. »Erzähl mir nicht, dass du nicht interessiert bist – deine Werte sind im selben Moment gestiegen, als ich den Raum betreten habe.« Sie tippte gegen eines der Accessoires an ihrem Kostüm – ein Biotelemetrie-Messgerät, wie Desjardins verspätet feststellte.
    Er zuckte die Achseln. »Du hast recht.«
    »Also, wo liegt das Problem? Hast du heute noch nicht deine Pillen genommen? Ich bin sauber.« Sie zeigte ihm die Tätowierungen an ihrem inneren Handgelenk; sie

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