Mahlstrom
war er in seine Bestandteile zerlegt worden und auf die Seite des Gegners übergewechselt. Oder er verrät einen, weil irgendjemand seine Kinder als Geisel genommen hat und droht, sie umzubringen. Vielleicht hat er auch Allah gefunden.
Andererseits, warum sollte man einem Fremden mit Argwohn begegnen? Ist jemand ein Feind, nur weil sein Pupillenscan nicht in den Akten zu finden ist?
Es spielte keine Rolle, ob Ken Lubin tatsächlich derjenige war, für den er sich ausgab. Es zählte lediglich, dass sein Gehirn vom Schuldgefühl beherrscht wurde, wodurch es ihm körperlich unmöglich war, die Hand zu beißen, die ihn unter Drogen setzte.
In seinen Adern kursierte nicht das übliche Schuldgefühl . Die Gesellschaft besaß tausend verschiedene Abstufungen des freien Willens, eine für Venezuela, vier oder fünf für China, vielleicht ein paar Dutzend für Quebec. Niemand hätte auf einen Motivator vertraut, der so doppelbödig war wie »das Wohl der Allgemeinheit«. Selbst diese Weltverbesserer – die Gesetzesbrecher – dienten nicht allein diesem Zweck, ganz gleich, was in ihren Werbebroschüren stand. Das »Wohl der Allgemeinheit« konnte alles Mögliche bedeuten. Teufel auch, es konnte sogar die Seite des Gegners bedeuten.
Ken Lubin war auf chemischem Wege an bestimmte Interessen von N'AmPaz gebunden, die etwas mit der Erzeugung von elektrischem Strom zu tun hatten. Seit dem Hydro-Krieg hatten diese Interessen zunehmend an Bedeutung gewonnen, und in den letzten zwanzig Jahren waren die Moleküle, die das Schuldgefühl erzeugten, immer genauer aufeinander abgestimmt worden. Sollte Lubin auch nur in Erwägung ziehen, dem falschen Interessenten seine Dienste anzubieten, würde er damit einen Anfall heraufbeschwören, der ein Grand mal wie ein nervöses Zucken bei einem Blind Date erscheinen ließe. Das war alles, was die mechanischen Bluthunde kümmerte, als sie an seinem Schritt schnüffelten. Nicht sein Name, seine Kleidung oder der Schwermetallgeruch des Ozeans, der immer noch an ihm haftete, trotz der ausgiebigen Dusche, die er sich im örtlichen Gemeindezentrum gegönnt hatte. Nicht die leicht übertriebenen Gerüchte über sein Ableben oder seine unerklärliche Rückkehr aus dem Grab.
Sie interessierte nur, dass er war wie sie: loyal, gehorsam und vertrauenswürdig.
Sie öffneten ihm Türen. Sie stellten ihm Geldmittel zur Verfügung und verschafften ihm Zutritt zu Medzellen, die allem, was auf der Straße erhältlich war, um fünf Jahre voraus waren. Sie gaben ihm sein Gehör zurück und attestierten ihm überraschenderweise, dass er bei bester Gesundheit war. Sie statteten ihn mit einem möblierten Zimmer aus, das wie ein Kokon für Mitglieder des Heimatteams bereitstand, die kurzfristig irgendwo unterkommen mussten.
Und das Wichtigste war, dass sie ihn in die Zuflucht hineinließen.
Es gab gewisse Dinge, die sie für niemanden tun würden. Eine Standleitung zu seinem Kokon stand beispielsweise vollkommen außer Frage. Lubin musste seine Nachforschungen vor Ort anstellen – eine Reihe anonymer Datenkabinen im vierzehnten Stockwerk des Ridley-Komplexes, zu denen nur Leute mit maßgeschneidertem Gewissen Zutritt hatten. Die meiste Zeit über waren etwa die Hälfte der Kabinen belegt. Dunkle, verschwommene Gestalten bewegten sich hinter Milchglas wie Larven in einer Honigwabe. Hin und wieder kam es vor, dass zwei von ihnen gleichzeitig in den Korridor hinaustraten. Dann gingen sie aneinander vorbei, ohne ein Wort oder einen Blick zu wechseln. Der Austausch von Höflichkeiten war hier nicht erforderlich, denn an diesem Ort standen alle auf derselben Seite.
Im Innern der Kabine, im Schutz des Headsets, das Augen, Ohren und Mund bedeckte, klinkte sich Ken Lubin in die Zuflucht ein und stellte ihr leise Fragen über die Channer-Quelle. Das Headset erfasste die Schwingungen seines Kehlkopfes, auch wenn ein wenig Anpassung nötig war, wegen des Stimmwandlers in seiner Kehle, und schickte einen Agenten los, um nach Antworten zu suchen. Lubin forderte eine Liste aller Quellen an, die den Begriff Station Beebe enthielten, und bekam augenblicklich das Gewünschte. Er ließ die Ergebnisse mit einer Aufzählung sämtlicher gefährlicher Mikroben der Tiefsee in Beziehung setzen.
An der Channer-Quelle waren keine besonderen Krankheitserreger registriert.
Hmm.
Das bewies natürlich noch nichts. Es gab genügend unangenehme Fakten, die nicht bis in die Zuflucht vordrangen. Allerdings konnte man sich der Frage
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