Mahlstrom
Womöglich ließ sie sich mit einem Standardtest nicht nachweisen.
Lubin verfügte über umfangreiche finanzielle Möglichkeiten. Eine eingehendere Blutuntersuchung hätte also kein Problem dargestellt.
Es gab jedoch andere Probleme. Und eines davon wurde ihm während seiner Nachforschungen Stück für Stück bewusst, und zwar anhand der Art und Weise, wie die Zuflucht seine Fragen beantwortete. Hin und wieder musste die Metabase einen Augenblick nachdenken, bevor sie ihm mitteilte, was er wissen wollte. Das war vollkommen normal. Manchmal jedoch … manchmal spuckte sie die Antworten beinahe aus, bevor er die Frage gestellt hatte. Fast so, als hätte sie über diese Dinge bereits nachgedacht. Als müsste sie gar nicht erst nach den relevanten Fakten suchen.
Vielleicht, dachte Lubin, ist es ja genau das.
Die Agenten der Zuflucht litten nicht unter demselben Ressourcenmangel wie die Suchmaschinen, die den Mahlstrom durchkämmten. Sie konnten es sich leisten, erst kürzlich gestellte Suchanfragen in einem Zwischenspeicher aufzubewahren. Kaum eine Anfrage war wirklich einzigartig. Wenn sich jemand heute nach dem Preis einer Parkinson-Behandlung erkundigte, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass morgen jemand eine ähnliche Frage stellen würde. Die Suchmaschinen der Zuflucht hielten ihre Ergebnisse fest, damit auf ähnliche Fragen schneller geantwortet werden konnte. Bittet, so wird euch gegeben:
– nach einer Durchschnittszeit von 2,3 Sekunden bei Fragen über Riesenwuchs bei Tiefseefischen,
– nach einer Durchschnittszeit von 3 Sekunden, wenn es um schwefelreduzierende Mikroben im Benthos ging,
– nach etwa einer Sekunde bei Anfragen, die den Begriff Channer-Quelle enthielten,
– 0,5 Sekunden bei Suchanfragen, die den Begriff schwefelreduzierende Mikroben mit dem Wort Feuer verbanden.
Feuer. Schwefelreduzierende Mikroben im Benthos. Eine merkwürdige Kombination von Begriffen. Was für eine Relevanz kann Feuer für das Leben am Grunde des Ozeans haben?
Mehr aus einer Eingebung heraus, fügte er einen dritten Begriff hinzu: Schiffswerft.
0,1 Sekunden.
Oha.
Er folgte in jemandes Fußspuren. Irgendjemand war vor ihm in der Zuflucht gewesen, hatte dieselben Fragen gestellt und war zu denselben Schlüssen gelangt. Hatte er nach Antworten gesucht, oder war es ihm um Schadensbegrenzung gegangen?
Ken Lubin beschloss, das herauszufinden.
Ein Archetypus der Versetzung
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Sou-Hon Perreault ihren Mann wirklich geliebt. Damals hatte Martin eine solche Gelassenheit ausgestrahlt, einen solchen Widerwillen dagegen, irgendjemanden zu verurteilen, dass sie sich bei ihm vollkommen sicher gefühlt hatte. Er hatte ihr den Rücken gedeckt, wann immer es nötig gewesen war (vor ihrem Zusammenbruch war das allerdings nur selten der Fall gewesen), und hatte stets den Mut aufgebracht, beide Seiten einer Medaille zu betrachten. Für die Liebe hätte er jede Gratwanderung gewagt.
Selbst jetzt noch hielt er sie lange im Arm und flüsterte ihr beruhigende Banalitäten ins Ohr. Ganz so schlimm konnte es nicht sein, sagte er. Quarantänen und Dunkelzonen tauchten ständig hier und dort auf, und sicher nicht ohne triftigen Grund. Manchmal waren zum Wohle der Allgemeinheit eben gewisse Einschränkungen notwendig, das wusste sie doch. Außerdem hatte er aus sicherer Quelle erfahren, dass es selbst gegen diejenigen, die die »großen Entscheidungen« trafen, bestimmte Sicherheitsvorkehrungen gab. Als wäre das ein Geheimnis. Als wäre der Mahlstrom nicht voller Threads und Gerüchte über die Firmenbosse und ihre drogeninduzierte Bewusstseinskontrolle.
Ihr gutmütiger, hilfsbereiter Mann. Der ihr am Tisch gegenübersaß, das Gesicht von liebevoller Sorge erfüllt. Sie konnte seinen Anblick nicht länger ertragen.
»Du solltest etwas essen«, sagte er. Er steckte sich eine Gabel voll pürierter Spirulina in den Mund und kaute demonstrativ.
»Sollte ich das?«
»Du verlierst an Gewicht«, erwiderte Martin. »Ich weiß, dass du aufgebracht bist – und du hast auch jeden Grund dazu –, aber das wird nicht besser, wenn du hungerst.«
»Das ist deine Lösung für die Probleme der Welt? Ich soll mir den Bauch vollschlagen, damit wir uns alle besser fühlen?«
»Sou …«
»So ist's recht, Marty. Iss noch was, und alles wird wieder gut. Schau dir die fröhlichen Threads im N'AmWire an und lass dich von ihnen einlullen. Vielleicht kannst du dann sogar Crys vergessen …«
Das war ein Schlag unter
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