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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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einundzwanzigste Jahrhundert war ein buntes Sammelsurium aus Katastrophen, Epidemien, Exoten und Staubstürmen gewesen, die aus allen Richtungen über die Menschheit hereinbrachen. Nun allerdings schien eine bestimmte Bedrohung im Verborgenen immer weiter zuzunehmen. Bestimmte Arten der Eindämmung traten häufiger auf. Entlang der Westküste brachen Feuer aus, die offiziell nichts miteinander zu tun hatten. Manche wurden der Schädlingsbekämpfung zugeschrieben, andere dem Terrorismus und wieder andere lediglich der zunehmenden Austrocknung des Landes. Aber dennoch: So viele Feuer, und alle an der Küste? So viele Quarantänezonen und Säuberungsaktionen, die zufälligerweise von Norden nach Süden entlang der Rocky Mountains auftraten? Sehr merkwürdig, wirklich sehr merkwürdig.
    Eine dunkle, entropische Monokultur wuchs unter dem üblichen Durcheinander von Zusammenbrüchen heran, erkennbar nur an der Zerstörung, die in ihrem Kielwasser folgte. Und langsam wurden die Leute hellhörig.
    Das Schuldgefühl sorgte natürlich dafür, dass Desjardins den Mund hielt. Offiziell war er nicht mehr für den Fall ßehemoth zuständig. Jovellanos und er hatten ihre Arbeit getan und ihre Ergebnisse präsentiert und sollten sich nun wieder mit anderen Katastrophen befassen, die der Router ihnen nach dem Zufallsprinzip zuwies. Doch ein Jobwechsel hieß nicht unbedingt, dass sich etwas an seinem Bauchgefühl änderte. Also zog er sich am Ende jeder Schicht in die einladende Höhle von Pickering's Pile zurück, um sich zuzudröhnen und mit den Einheimischen Konversation zu betreiben. Er hatte sich sogar von Gwen dazu überreden lassen, es doch noch einmal mit echtem Sex zu versuchen, was jedoch, wie sogar sie selbst zugab, in einer einzigen Katastrophe geendet hatte. Und dabei lauschte er den Gerüchten von der bevorstehenden Apokalypse.
    Und während er untätig herumsaß, füllte sich die Welt mehr und mehr mit schwarz gekleideten Doppelgängern mit leeren Augen.
    Anfangs hatte er es gar nicht bewusst wahrgenommen. Als er Gwen zum ersten Mal begegnet war, war sie so verkleidet gewesen. Rifter-Chic , hatte sie es genannt. Sie hatte lediglich den Anfang gemacht. In den vergangenen Monaten hatte sich das Ganze zu einem eigenen Trend entwickelt. Und inzwischen schien es, als würde jedermann und sein Organkloner Ganzkörperanzüge und Photocollagen tragen. Es waren hauptsächlich K-Strategen, die sich so verkleideten, doch auch die Anzahl der R-Strategen unter ihnen nahm zu. Desjardins hatte sogar schon ein paar Leute gesehen, die echtes Reflex-Copolymer trugen. Das Zeug war beinahe lebendig . Es veränderte seine Durchlässigkeit, um optimale Wärme- und Ionenwerte aufrechtzuerhalten, und verheilte von selbst, wenn es zerrissen wurde. Es glibberte irgendwie um einen herum, wenn man es anzog, und legte sich dicht an den Körper an, während die Nähte und Kanten aufeinander zustrebten, um sich miteinander zu verbinden. Es war, als hätte eine Pharmafirma eine Amöbe mit einem Ölteppich gekreuzt. Er hatte gehört, dass das Zeug sich sogar über die Augen legte.
    Wenn er daran dachte, schauderte es ihn. Allerdings dachte er nicht allzu oft darüber nach. Der Anblick der Kostümträger versetzte ihm jedes Mal einen Stich, der tiefer ging als einfache Abscheu.
    Sechs von ihnen sind gestorben , hörte er ein Flüstern in seinem Innern, wenn ihn der Stich in die Eingeweide traf. Vielleicht war es unnötig. Oder womöglich nicht genug. Wie dem auch sei, du weiß Bescheid. Sechs von ihnen sind gestorben, und nun sterben Tausende weitere, und du hast dabei eine Rolle gespielt, Achilles, mein Lieber. Du weißt nicht, ob das, was du getan hast, richtig oder falsch war. Du weißt nicht einmal, was genau du eigentlich getan hast, aber du warst daran beteiligt, oh ja. Ein Teil dieses Blutes klebt an deinen Händen.
    Eigentlich hätte es ihm nichts weiter ausmachen dürfen. Er hatte nur seine Arbeit getan, wie immer. Normalerweise hätte die Absolution mit den Nachwirkungen fertig werden müssen. Außerdem hatte er keine Entscheidungen über Leben und Tod getroffen, nicht wahr? Er hatte einen Auftrag erhalten, ein rein statistisches Problem. Datenverarbeitung. Er hatte den Auftrag erledigt, und er hatte seine Sache gut gemacht, und inzwischen war er bereits wieder mit anderen Dingen beschäftigt.
    Ich befolge lediglich Befehle, auch wenn es um die Cree natürlich schade ist.
    Nur dass er sich gar nicht an die Befehle hielt, jedenfalls nicht

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