Mahlstrom
dass es auch so schon mehr als genug Missgeburten gab. Ohne dass man das Risiko eingehen musste, die Konsumenten zu verärgern.
»Ich habe recht, oder?«
Er starrte sie finster an, zitternd vor hilfloser Wut.
»Gut«, sagte sie und griff nach ihrem Rucksack. »Geschieht dir, verdammt noch mal, recht.«
Falle
Die Stimme in Lubins Ohr hatte gelogen.
Er hatte N'AmPaz nicht mehr verlassen, seit er an Land gegangen war. Sewastopol und Philadelphia hatte er seit Jahren nicht mehr besucht. In Whitehorse war er noch nie gewesen, und nach allem, was er über diesen Ort wusste, hoffte er auch, dass es ihn niemals dorthin verschlagen würde.
Aber er hätte dort sein können. Die Lüge war durchaus plausibel für jemanden, der Lubin kannte, aber nicht wusste, wo er sich gerade aufhielt. Vielleicht hatte derjenige auch gar nicht absichtlich gelogen. Vielleicht hatte er einfach nur falsch geraten, auf der Grundlage irgendwelcher irrelevanter statistischer Daten. Womöglich handelte es sich lediglich um einen Haufen Zufallsworte, die eher um der Grammatik willen als wegen ihres Wahrheitsgehaltes aneinandergereiht worden waren.
Er fragte sich, ob er das Gerücht vielleicht sogar selbst in die Welt gesetzt hatte. Vor seinem Aufbruch nach Sudbury überprüfte er diese Hypothese.
Er loggte sich erneut in die Zuflucht ein und startete eine neue Namenssuche: Judy Caraco, Lenie Clarke, Alice Nakata und Kenneth Lubin .
Dieses Mal war es eine andere Stimme, die ihm antwortete. Sie redete in einem leisen, weichen Tonfall, fast im Flüsterton. Sie zeigte keinerlei Vorliebe für Alliterationen oder Nonsensreime. Stattdessen neigte sie dazu, harte Konsonanten falsch auszusprechen.
Und sie nannte ihn Michael .
Er flog nach Toromilton und nahm von dem Stadtstaat aus ein Shuttle nach Norden. Endlose Vorstädte, die sich weit aus dem Zentrum der Hauptstadt hinaus ins Umland ergossen, glitten unter ihm dahin. Das tägliche Pendeln hatte schon vor Jahrzehnten aufgehört, und dennoch wuchs das Geschwür immer weiter. Draußen zog eine eher unspektakuläre Welt an ihm vorbei – es gab nur wenige Sperrgebiete in Ontario, und keines von ihnen lag auf seinem Weg.
Die Welt drinnen war dagegen wesentlich interessanter. Tief im brodelnden Chaos des Mahlstroms begannen sich neben Geschichten über Lubins Wiederauferstehung nun auch Gerüchte über Mike Brander zu verbreiten. Mike Brander war in Los Angeles gesichtet worden. Mike Brander war in Lima aufgetaucht.
Lubin runzelte die Stirn, ein dezenter Ausdruck der Unzufriedenheit mit sich selbst. Er hatte sich mit seinen eigenen Fragen verraten. Irgendetwas in der Zuflucht war aufgefallen, dass er nach sämtlichen Besatzungsmitgliedern der Station Beebe gesucht hatte, nur nicht nach sich selbst. Und warum stellt dieser Benutzer keine Fragen über Lubin, K.? Weil dieser Benutzer wahrscheinlkh schon über Lubin, K Bescheid weiß.
Weil dieser Benutzer Lubin, K ist.
Lenie und Kenny sind wieder da.
Sein letzter Besuch in der Zuflucht , als er nach sämtlichen Besatzungsmitgliedern außer Mike Brander gesucht hatte, hatte dieselbe Reaktion hervorgerufen und dieselbe einfache Logik in Gang gesetzt. Jetzt war Mike Brander am Leben und bei bester Gesundheit und lebte im Mahlstrom. Q.E.D.
Was steckt dahinter? Und warum tut es das?
Das Warum war nicht immer zwangsläufig von Bedeutung. Manchmal sprang die Fauna des Mahlstroms einfach auf weit verbreitete Threads auf, um sich von ihnen mitnehmen zu lassen – sie stahl Passwörter, um sich anzupassen, und schlüpfte durch Filter, indem sie sich als Teil der Herde ausgab. Klassischer Mitläufereffekt, so blind und stumpfsinnig wie die Evolution selbst. Das war auch der Grund, warum sich solche Strategien stets nach einer Weile totliefen. Eine Modeerscheinung geriet wieder in Vergessenheit, und dann standen die Betrüger plötzlich mit gefälschten Eintrittskarten vor einem leeren Ballsaal. Oder die Türsteher kamen ihnen auf die Schliche – je beliebter die Verkleidung, desto größer der Anreiz für Gegenmaßnahmen.
Die Fauna ließ sich von Gerüchten mitnehmen, wenn sie heiß genug waren. Lubin hatte jedoch noch nie davon gehört, dass sie selbst Gerüchte in die Welt gesetzt hätte.
Und warum Lenie Clarke? Ein unauffälliges Leben, ein unsichtbarer Tod. Wohl kaum das ansteckendste Mem im Netz. Eigentlich nichts, was eine solche Berühmtheit nach dem Tod gerechtfertigt hätte.
Das war etwas Neues. Und was immer es war, es arbeitete auf ein
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