Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts

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Blaufichten verborgen lag, seine Art, damit umzugehen.
    Heutzutage konnte Lertzman natürlich nicht mit einem Privatfahrzeug zur Arbeit fahren. Er wusste, wie wichtig das öffentliche Auftreten war. Schließlich hatte er seine Karriere darauf aufgebaut. Deshalb ging er jeden Abend die drei Häuserblocks zwischen seinem Grundstück und der nächsten Bushaltestelle zu Fuß. Etwa zwanzig Prozent dieser Strecke war nicht weithin einsehbar.
    »Entschuldigen Sie, sind Sie Donald Lertzman?«
    »Ja, wer …«
    Lubin nahm das medizinische Warn-Plug-in an Lertzmans Armbanduhr zur Kenntnis. Es würde Alarm schlagen, wenn seine Körperwerte auf eine akute Notlage hinwiesen. Allerdings trat die Stressreaktion des Körpers nicht von selbst ein – sie musste durch die Wahrnehmung einer Gefahr oder Verletzung ausgelöst werden. Die meisten dieser Signale wurden durch das Rückenmark transportiert.
    Zehn Minuten später hatte Lubin sich immer noch nicht vorgestellt, doch er wusste bereits, nach wem er suchte, wo er denjenigen finden konnte und wann seine Schicht zu Ende war. Er wusste mehr, als er im Augenblick brauchte.
    Bis zu seinem verabredeten Treffen in Pickering's Pile waren es noch sechsundzwanzig Stunden. Lubin war sich nicht sicher, ob er so lange warten wollte. Außerdem gab es keine Garantie dafür, dass dieser Achilles Desjardins tatsächlich auftauchen würde.
    Er ließ Donald Lertzman friedlich atmend zurück.

Komplize
    Dieses Mal passierte es wieder genauso abrupt – der plötzliche Ortswechsel, eine Welt wurde ausgelöscht und eine andere an ihrer Stelle erschaffen. Möglicherweise hatte es vorher einen Hinweis gegeben. Ein kaum wahrnehmbares Stottern der Übertragung, ein Anklopfen, als würde irgendetwas in weiter Ferne eine Verbindung herstellen. Doch es ging zu schnell, als dass es Perreault als Vorwarnung hätte dienen können, selbst wenn es tatsächlich echt gewesen war.
    Es spielte keine Rolle. Sie wartete. Sie wartete schon seit Tagen.
    Dieselbe gottgleiche Perspektive: Eine Menschenmenge breitete sich unter ihr aus, eingerahmt von vertrauten Icons und Anzeigen. Sie war von einer Mechfliege in eine andere weitergeleitet worden. Aus irgendeinem Grund waren die Navigations- und GPS-Anzeigen ausgeschaltet.
    Sie befand sich im Innern eines Gebäudes, das von Gewalt beherrscht wurde.
    Ein Mann lag zusammengekrümmt auf dem Betonfußboden. Vor ihren Augen traf ihn der Stiefel eines anderen in den Magen. Sein Körper rollte sich, einem hilflosen Reflex gehorchend, zu einer Kugel zusammen und hinterließ dabei eine Spur aus Blut und Zähnen auf dem Boden. Das Gesicht war zu zerschlagen und blutig, als dass man seine Herkunft hätte feststellen können.
    Der Angreifer – er war kleiner, dunkelhäutig und stand mit dem Rücken zur Kamera – verlagerte mit einer schrecklichen, ruhelosen Energie unablässig das Gewicht. Seine Arena wurde durch die Menge begrenzt, die um ihn herumstand: manche aufmerksam, andere gleichgültig, wieder andere schüttelten in wildem Enthusiasmus die Fäuste. Etwas weiter vom Schauplatz entfernt, wo sich die Menschenmenge lichtete, waren Schlafmatten und vergessene Häufchen persönlicher Habseligkeiten zu sehen.
    Perreault klickte sich durch die verfügbaren Menüs. Keine Waffen. Aus den Augenwinkeln sah sie etwas blinken: Ziel ~162° Az: ~41° Dek.
    Hinter ihr.
    Der Sieger umkreiste sein Opfer und verlagerte dabei immer noch das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sein Gesicht kam in Reichweite. Er hatte voller Konzentration die Stirn gerunzelt. Wieder stieß sein Fuß vor: ein Tritt von hinten in die Nieren. Das zuckende Etwas auf dem Fußboden öffnete sich ruckartig wie eine blutüberströmte Blume. Sein Rücken drückte sich durch, als hätte es einen Stromschlag erhalten.
    Der Angreifer blickte hoch, direkt zu Perreaults gekaperter Mechfliege hinauf. Seine Augen besaßen die leuchtend kristallgrüne Farbe künstlich erzeugten Chlorophylls. In dem schwarzen Gesicht wirkten sie wie eine Halluzination.
    Ohne den Blick von der Mechfliege abzuwenden, trat er seinem Opfer ein letztes Mal gegen den Kopf. Dann verschwand er in der Menge, ohne dass sich ihm jemand in den Weg gestellt hätte.
    Sou-Hon Perreault hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Auch sein Opfer kannte sie nicht. Aber das Ziel befand sich bei ~5° Az: ~40° Dek , und es bewegte sich.
    Sie wandte sich nach links. Noch mehr Menschen und Schlafmatten. In der Ferne waren graue, unverputzte Wände zu sehen, die von