Mahlstrom
»Also.« Sie drehte sich auf den Rücken und wischte sich mit dem Handrücken den Straßendreck vom Mund ab. »Wie war ich?«
Er knurrte nur und nahm sich ihren Rucksack vor.
»Da ist nichts drin, was du gebrauchen könntest«, sagte sie.
»Hm-hm.« Etwas erregte trotzdem seine Aufmerksamkeit. Er griff hinein und zog einen Ganzkörperanzug aus einem schwarzen schimmernden Material hervor.
Es wand sich in seiner Hand.
»Verdammt!« Er ließ das Kleidungsstück fallen. Es lag am Boden und rührte sich nicht mehr. Stellte sich tot.
»Was, zum Teufel …« Er sah Clarke an.
»Partyklamotten«, sagte sie und erhob sich. »Würden dir nicht passen.«
»Quatsch«, sagte der Mischling. »Das ist dieses Reflex-Copolymer-Zeug. Wie das, was Lenny Clarke trägt.«
Sie blinzelte. »Was hast du gesagt?«
»Leonard Clarke. Der Flossenmann aus der Tiefsee. Er hat das Erdbeben ausgelöst.« Er berührte die Taucherhaut mit dem gichtigen Zeh. »Denkst du, ich weiß das nicht?« Er hob die Waffenhand und deutete mit dem Lauf seiner Pistole auf seine Augenkappen. »Was meinst du, wie ich an die hier gekommen bin, hm? Du bist nicht das erste Groupie, das hier vorbeikommt.«
» Leonard Clarke?«
»Sag ich doch. Bist du taub oder blöd?«
»Ich habe mich gerade von dir vergewaltigen lassen, du Arschloch. Also wahrscheinlich blöd.«
Der Mischling sah sie einen Moment lang an.
»Du hast das schon einmal gemacht«, sagte er schließlich.
»Öfter, als du zählen kannst.«
»Womöglich gefällt's dir sogar nach einer Weile?«
»Nein.«
»Du hast dich nicht gewehrt.«
»Ach, ja? Wer wehrt sich schon, wenn eine Pistole auf seinen Kopf gerichtet ist?«
»Du hast nicht einmal Angst.«
»Ich bin einfach zu verdammt müde. Willst du mich jetzt gehen lassen oder mich umbringen, oder was? Alles ist besser, als sich noch länger diesen Schwachsinn anhören zu müssen.«
Der Mischling machte einen schwerfälligen Schritt nach vorn. Lenie Clarke schnaubte nur.
»Verschwinde«, sagte der Mischling in merkwürdigem Tonfall. Dann fügte er überraschend hinzu: »Wohin gehst du?«
Sie hob eine Augenbraue. »Nach Osten.«
Er schüttelte den Kopf. »Da wirst du nicht durchkommen. Große Quarantänezone. Erstreckt sich fast bis hinunter zum Staubgürtel.« Er deutete eine Nebenstraße hinunter nach Süden. »Besser, du umgehst sie.«
Clarke tippte auf ihre Uhr. »Die ist nicht registriert.«
»Dann eben nicht. Ist mir doch scheißegal.«
Clarke beugte sich vor, hob ihren Anzug auf und behielt den Mischling dabei im Auge. Er hielt ihr den Rucksack an den Gurten hin und warf einen Blick hinein.
Er erstarrte.
Blitzschnell, wie eine zupackende Schlange, zuckte Clarkes Hand in den Rucksack und holte den Gasknüppel heraus. Sie hielt ihn niedrig, auf den Bauch des Mischlings gerichtet.
Er trat einen Schritt zurück und hielt den Rucksack immer noch mit einer Hand fest. Seine Augen verengten sich zu schillernden Schlitzen. »Warum hast du ihn nicht benutzt?«
»Ich wollte keine Ladung auf dich verschwenden. Du bist es nicht wert.«
Er betrachtete das leere Futteral an ihrem Bein. »Warum trägst du ihn nicht dort? Wo du ihn erreichen kannst?«
»Also, wenn du ein Kind bei dir hättest …«
Sie musterten einander mit Augen, die alles nur in Schwarz und Weiß sahen.
»Du hast mich rangelassen.« Der Mischling schüttelte den Kopf. Der Widerspruch schien ihm beinahe Schmerzen zu bereiten. »Du hattest dieses Ding, und du hast mich trotzdem rangelassen.«
»Mein Rucksack«, sagte Clarke.
»Du … hast mich reingelegt.« In seiner Stimme schwangen Wut und Überraschung mit.
»Vielleicht mag ich es auch einfach grob.«
»Du hast irgendeine Krankheit. Du vögelst Leute, um sie anzustecken.«
Sie wedelte mit dem Stab. »Gib mir meine Sachen, vielleicht lebst du dann lange genug, um es herauszufinden.«
»Du Krüppelficker .« Er reichte ihr den Rucksack.
In diesem Moment bemerkte sie das Gewebe zwischen den drei plumpen Fingern an seiner Hand, sah die glatten, narbenlosen Spitzen der Fingerstümpfe. Also doch nicht die Folge von Gewalteinwirkung. Keine Amputation in einem Straßenkampf. Er war so geboren worden.
»Du bist eines von diesen Pharma-Babys, nicht wahr?«, fragte sie. Womöglich war er älter, als er aussah. Die Pharmafirmen verbreiteten schon seit Jahrzehnten kein fehlerhaftes Erbgut mehr. Behinderte Menschen gaben mehr Geld für ärztliche Behandlungen aus als Gesunde, doch die natürliche Umgebung sorgte dafür,
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