Maienfrost
hinein klingelte das Telefon. Erich Kröger, sein Hamburger Kollege war am Apparat, um einen ersten Zwischenbericht abzuliefern. Er hatte herausgefunden, das Wigald Austen in Hamburg eine Apotheke betrieb. »Seine Geschäfte scheinen blendend zu laufen«, sagte er, »sonst könnte er sich keine Villa an der Alster leisten. Vornehme Wohngegend, ich habe mich dort mal umgesehen. Bei den Nachbarn gilt Wigald Austen als umgänglich und freundlich. Seine Haushälterin allerdings war nicht sehr gesprächig. Ich fand lediglich heraus, dass sie ihre jetzige Stelle vor etwa zwei Jahren antrat. Bezüglich ihres Brötchengebers zog sie es vor, sich in Schweigen zu hüllen. Der Routine halber habe ich Wigald Austens Namen in den Computer eingegeben. Und siehe da, es stellte sich heraus, dass eine Akte über ihn existierte. Natürlich bin ich gleich ins Archiv, um sie mir zu besorgen. Der Liebhaber seiner Frau, ein gewisser Ben Kosche, erstattete seinerzeit Anzeige, weil er Wigald Austen verdächtigte, seine Frau umgebracht zu haben.«
»Das ist ja höchst interessant«, ließ sich Henning vernehmen.
»Ja, und es wird noch besser! Während ich die Unterlagen durchsah, spukte mir das, was du mir bezüglich des Falls erzählt hast, im Hinterkopf herum. Ich meine die schwer nachweisbare Todesursache. Aus dem vom Hausarzt der Familie erstellten Totenschein geht hervor, dass Erika Austen an Herzversagen starb. Eine als Kind durchgemachte Diphtherie hatte ihr Herz dauerhaft geschädigt. Dieser, dem Arzt bekannte Umstand und die Tatsache, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes im fünften Monat schwanger war, ließen ihn davon ausgehen, dass ihr Gesundheitszustand den Strapazen und Risiken der Schwangerschaft nicht gewachsen war. Sie starb in der Nacht vom zweiundzwanzigsten auf den dreiundzwanzigsten Mai 1973. Weil das Ehepaar über getrennte Schlafzimmer verfügte, fand Wigald Austen seine Frau erst am nächsten Morgen. So wie es sich wenig später dann auch dem Arzt darstellte, war sie friedlich eingeschlafen. Es gab keine Spuren, die auf einen möglichen Todeskampf oder gar eine Straftat hinwiesen. Erika Austen wurde zur Bestattung freigegeben. Für die Polizei wurde der Fall erst relevant, als sich nach ihrem tragischen Tod ihr Liebhaber bei uns meldete. Seine Schilderung der Dinge warf plötzlich ein anderes Licht auf den Fall. Ben Kosche hegte erhebliche Zweifel an der als Todesursache angeführten Diagnose. Um seinen Verdacht zu begründen, gab er an, der Vater von Erikas ungeborenem Kind zu sein. Seinen Worten zufolge, lebte seine Geliebte in ständiger Angst vor ihrem Mann. Ben gab zu Protokoll, dass Erika ihm kurz bevor sie starb anvertraute, sie befürchte, dass Wigald sie umbringen könnte, wenn er herausfände, dass das Kind nicht von ihm sei. Herrn Kosches Zeugenaussage veranlasste die Polizei der Angelegenheit nachzugehen. Aufgrund der gegen Wigald Austen vorliegenden Verdachtsmomente ordnete die Staatsanwaltschaft die Obduktion der Leiche an. Leider ohne Erfolg. Zu dem Zeitpunkt, als die richterliche Verfügung erging, war von Erika Austen nicht mehr als ein Häuflein Asche übrig geblieben. Ihr Mann hatte sich für eine Feuerbestattung entschieden. Was blieb, waren Vermutungen.«
»Das ist ja kaum zu glauben!«, staunte Henning.
»Und angesichts eurer Erkenntnisse hinreichend mysteriös«, pflichtete ihm sein Freund bei. »Nach dem, was ich von dir erfahren habe, drängt sich mir förmlich der Gedanke auf, Wigald Austen habe die Leiche seiner Frau nur deshalb einäschern lassen, um mögliche Nachforschungen von vornherein zu unterbinden. Doch leider kann ich darüber nur spekulieren. Beweisen lässt es sich nicht.«
Am anderen Ende der Leitung stieß Henning einen unschönen Fluch aus. »Wie es scheint, ist in dieser Familie niemand für seine Taten verantwortlich zu machen. Zum einen ist da der Großvater, dem nicht nachgewiesen werden konnte, dass er seine Familie in die Gaskammer schickte und nun auch noch der Sohn, der angeblich keinerlei Schuld am Tod seiner Frau trägt. Das alles erscheint mir höchst suspekt. Ich finde es deprimierend, dass wir nichts in der Hand haben, um unsere Vermutungen jemals beweisen zu können.«
»Das ist frustrierend, da muss ich dir Recht geben. Aber nichtsdestotrotz habe ich mir vorgenommen, am Ball zu bleiben. Für heute Nachmittag habe ich mich mit Ben Kosche verabredet. Mal sehen ob uns seine Aussage weiterbringt. Große Hoffnungen mache ich mir wegen der seither vergangenen
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