Maienfrost
blieb aus. Ich fühlte mich einfach nur leer und ausgebrannt …«
»Und weil Ihnen das, was Sie da angerichtet hatten noch nicht weit genug ging, der erwartete Kick ausblieb, beschlossen Sie, die beiden zu töten. So war es doch!«
»Aber nein! Wie kommen Sie denn darauf!«, empörte sich Micha. »Natürlich war es nicht so. Ich bin doch kein Mörder! Es kostete mich beinahe den Verstand, als ich erfuhr, dass Carmen umgebracht worden war!«
Henning glaubte ihm kein Wort. Statt sich weiter mit, für seine Begriffe fadenscheinigen Unschuldsbeteuerungen abspeisen zu lassen, erkundigte er sich bei seinem Gegenüber danach, wo er den Abend und die darauf folgende Nacht des achtzehnten Juli verbracht habe. »Unseren Informationen zufolge, bezogen Sie am Montag, dem vierzehnten Juli, Ihr hiesiges Quartier.« Micha schien nachzudenken. »Ich nehme mal an, ich war auf meinem Zimmer.«
»Es lediglich anzunehmen, nützt uns nicht viel. Haben Sie Zeugen, die das bestätigen können?« Unruhig geworden, rutschte Micha auf der Kante seines Sessels hin und her. Er verbarg irgendetwas, so viel war Henning klar.
»Ich muss Sie wohl nicht erst daran erinnern, welche Priorität wir dem Fall beimessen«, ermahnte er ihn. »Schließlich geht es um mehr als ein dreizehn Jahre zurückliegendes Verbrechen. Das, worüber wir im Moment sprechen, betrifft die Frauenmorde auf Rügen. Sicher können Sie sich vorstellen, welche Konsequenzen eine Falschaussage nach sich zieht. Sollte sich herausstellen, dass Sie für die Tatzeit kein Alibi besitzen, sind wir angesichts unserer derzeitigen Erkenntnisse dazu berechtigt, Sie in Untersuchungshaft zu nehmen.«
Wieder einmal legte Henning die Dinge so aus, wie sie ihm im Moment am geeignetsten erschienen. In Wirklichkeit besaß er aufgrund der gegen Micha Kronstedt sprechenden Indizien keinerlei rechtliche Handhabe, seinen Drohungen auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Aber das wusste sein Gegenüber ja glücklicherweise nicht. Und wenn es nach Henning ging, sollte das auch so bleiben. Sich wegen seines außergewöhnlichen Vorgehens Gedanken zu machen oder gar Skrupel deswegen zu bekommen, lag ihm fern. Wenn er sich in seiner mehr als vierzigjährigen Dienstlaufbahn stur an die vorgeschriebenen Richtlinien gehalten hätte, würde mit Sicherheit so manche Straftat noch heute ihrer Aufklärung harren. Der Kommissar brauchte dabei nur an das als Selbstmord getarnte Verbrechen an Cora Birkner, einer erfolglosen Krimiautorin aus Auerbach zu denken. Wenn er den bereits ad acta gelegten Fall nicht auf eigene Faust wieder aufgerollt, sondern sich, wie seine Kollegen, mit den augenscheinlichen Tatsachen zufrieden gegeben hätte, wäre er niemals aufgelöst worden. Dass es ihm gelang, die wahren Hintergründe erst nach seiner Pensionierung aufzudecken, spielte dabei keine wirklich wichtige Rolle für ihn. Was zählte, war das Ergebnis. Und im Fall von Cora Birkner rechtfertigte dieses sein Vorgehen. Warum sollte es diesmal anders sein? Ungewöhnliche Situationen erforderten nun einmal ungewöhnliche Methoden und Maßnahmen. Das war sein Leben lang seine Devise gewesen und er hatte nicht vor, jetzt davon abzuweichen.
»Also, zu Ihrem eigenen Besten rate ich Ihnen noch einmal genau nachzudenken, wo Sie sich am Abend des achtzehnten Juli aufhielten und ob es nicht doch jemanden gibt, der Ihre Angaben bestätigen kann.«
Während Henning sprach, bemerkte er, wie Micha Kronstedt mit fahrigen Bewegungen seine zunehmende Unruhe zu überspielen versuchte. Es war ihm sichtlich unangenehm, auf die ihm gestellte Frage zu antworten. »Sie müssen wissen«, begann er, nachdem er sich entschieden hatte sein Schweigen zu brechen, »dass ich eine leitende Stellung in einem angesehenen Pirnaer Bankhaus begleite. Daher bitte ich Sie, meine folgende Aussage mit der nötigen Diskretion zu behandeln. Kann ich mich darauf verlassen?«
»Kommt ganz darauf an, um was es geht. Das kann ich Ihnen so nicht versprechen.«
»Also gut«, gab sich Micha geschlagen. »Irgendwann, fürchte ich, erfahren Sie ja ohnehin, dass ich die vorangegangenen Nächte mit Prostituierten und Zufallsbekanntschaften verbrachte. Das ist auch der eigentliche Grund, weshalb ich herkam; um mich einmal so richtig auszutoben …«
Henning wunderte sich über gar nichts mehr. Was er verwerflich fand, war nicht etwa, dass Micha Kronstedt sich mit Prostituierten einließ, das hätte er ihm nachsehen können. In seinen Augen lag die Schandtat
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