Maigret 17
oder jedenfalls fast jedesmal. Wir sagten ›Novene‹ dazu.«
»Und machte er oft eine ›Novene‹?«
Maigret konnte nicht umhin, zufrieden zu lächeln. Brown hatte also die letzten zehn Jahre nicht jede Stunde seines Lebens in Gesellschaft der beiden Frauen verbracht.
»Fast jeden Monat.«
»Und wie lange dauerte das?«
»Er war drei Tage fort, vier Tage, manchmal auch länger. Und er kam völlig verwahrlost zurück, und total besoffen …«
»Und trotzdem ließen Sie ihn das nächste Mal wieder fort?«
Schweigen. Die Alte saß starr da und warf dem Kommissar einen stechenden Blick zu.
»Ich dachte, Sie beide hatten Einfluß auf ihn?«
»Er mußte ja das Geld holen.«
»Und Sie durften ihn dabei nicht begleiten?«
Gina war aufgestanden. Sie seufzte mit müder Geste:
»Wie peinlich das alles ist! Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, Herr Kommissar … Wir waren nicht verheiratet, obwohl mich William immer wie seine Frau behandelt hat, darum wohnte ja auch Mama bei uns. Für die Leute war ich Madame Brown. Andernfalls wäre ich auch nicht einverstanden gewesen …«
»Ich auch nicht!« betonte die Alte.
»Nur gibt es trotzdem feine Unterschiede … Ich will nichts Schlechtes über William sagen. Aber in einer Hinsicht hatten wir immer wieder Differenzen: das Geld …«
»War er reich?«
»Das weiß ich nicht.«
»Und Sie wußten auch nicht, wo sich sein Vermögen befand! Haben Sie ihn deshalb jeden Monat wegfahren lassen? Um das Geld zu beschaffen?«
»Ich habe versucht, ihm zu folgen, das gebe ich zu. War es nicht mein gutes Recht? Aber er traf Vorsichtsmaßnahmen. Er fuhr ja mit dem Auto …«
Nun fühlte sich Maigret wieder wohl. Die Sache fing sogar an, ihn zu amüsieren. Er hatte sich ausgesöhnt mit dem komischen Kerl von Brown, der mit zwei Megären lebte, der es aber zehn Jahre lang verstanden hatte, ihnen die Quelle seiner Einkünfte zu verheimlichen.
»Brachte er große Summen mit?«
»Kaum soviel, daß es für einen Monat reichte. Zweitausend Francs. Ab dem Fünfzehnten mußten wir sparen.«
Das war der neuralgische Punkt! Wenn sie nur daran dachten, gerieten die beiden schon in Wut!
So war es. Sobald die Mittel zur Neige gingen, beobachteten sie William mit Unruhe und fragten sich, wann er wieder zu seiner ›Novene‹ aufbrechen würde.
Sie konnten ja nicht zu ihm sagen: ›Na? Willst du nicht mal wieder ’n bißchen bummeln gehn?‹
Sie machten lediglich Anspielungen. Maigret konnte es sich gut vorstellen.
»Wer verwahrte das Geld?«
»Mama«, sagte Gina.
»Machte sie auch das Essen?«
»Natürlich. Und die Küche. Für eine Hausangestellte war kein Geld da.«
Das also war wohl der Dreh. Wenn es aufs Ende zuging, servierten sie Brown ungenießbare Mahlzeiten, und wenn er sich beschwerte, erklärten sie ihm: »Mehr können wir mit dem bißchen Geld, das noch da ist, leider nicht anbieten.«
Mußten sie ihn weiter drängen? Oder machte er sich sofort auf den Weg?
»Um welche Uhrzeit fuhr er gewöhnlich weg?«
»Er hatte keine bestimmte Uhrzeit. Wir dachten, er sei im Garten oder in der Garage zum Wagenwaschen – und plötzlich startete der Motor.«
»Sie haben also versucht, ihm zu folgen – mit einem Taxi?«
»Ich habe hundert Meter von hier drei Tage lang eins stehen lassen. Aber schon in Antibes hatte uns William in den vielen kleinen Straßen abgehängt. Ich wußte jedoch, wo er den Wagen abstellte, es war in einer großen Autowerkstatt in Cannes. Da ließ er ihn die ganze Zeit stehen, die sein Ausflug dauerte.«
»Fuhr er dann auch manchmal mit dem Zug nach Paris oder anderswohin?«
»Schon möglich.«
»Aber er blieb vielleicht auch in Cannes?«
»Es würde mich wundern, wenn er dort nicht jemand gehabt hätte, mit dem er sich traf.«
»Ist er unmittelbar vor seinem Tod von einer solchen Novene zurückgekommen?«
»Ja. Er war sieben Tage weg gewesen.«
»Und haben Sie das Geld bei ihm gefunden?«
»Ja. Zweitausend Francs, wie immer.«
»Wissen Sie, was ich glaube?« schaltete sich die Alte ein. »Also! William muß wesentlich mehr gehabt haben. Vielleicht viertausend, vielleicht fünftausend monatlich. Den Rest hat er lieber allein verjubelt. Und wir waren gezwungen, mit einer lächerlichen Summe auszukommen.«
Maigret hatte sich behaglich in Browns Sessel zurückgelehnt. Je länger dieses Verhör dauerte, desto intensiver wurde das leise Lächeln um seine Lippen.
»War er ein schlechter Mensch?«
»Der? Der war der edelste Mensch, den Sie je gesehen
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