Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
dann, liebe Raymonde?«
»Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich hätte es vorgezogen, wenn sie Ihnen die Mitteilung selbst gemacht hätte. Sie sagt, es schicke sich nicht, daß ich allein mit einem Mann im Haus bin. Sie hat gehört, wie wir beide in der Küche gegessen haben. Sie hat mir Vorwürfe gemacht.«
»Wann soll ich denn abreisen?«
»Heute abend, spätestens morgen früh.«
»Es gibt keinen anderen Gasthof in der Gegend, nicht wahr?«
»Fünf Kilometer weiter ist noch einer.«
»Na gut, Raymonde, klären wir das morgen früh.«
»Ich habe aber für heute abend nichts zu essen, und man hat mir verboten …«
»Ich besorge mir etwas an der Schleuse.«
Und das tat er. Es gab dort wie bei den meisten Schleusen ein Kolonialwarengeschäft für die Schiffer, wo auch Getränke ausgeschenkt wurden. Ein Zug Lastkähne lag gerade in der Schleusenkammer, und die Frauen nutzten, von ihren Kindern umgeben, die Gelegenheit, um ihre Einkäufe zu machen, während die Männer schnell ein Gläschen tranken.
All diese Leute arbeiteten für Amorelle und Campois.
»Geben Sie mir bitte einen Schoppen Wein, ein Stück Wurst und ein halbes Pfund Brot«, bestellte er.
Es war kein Restaurationsbetrieb. Er setzte sich an die Ecke eines Tisches und schaute auf das Wasser, das über den Ventilen brodelte. Einst wurden die Kähne von der Uferböschung aus von schweren Pferden langsam flußaufwärts gezogen, die ein kleines Mädchen meist barfuß auf dem Treidelpfad mit seiner Gerte führte.
Auf einigen Kanälen konnte man noch die schwimmenden Stallungen sehen, doch die meisten waren von Amorelle und Campois mit ihren qualmenden Schleppdampfern und ihren Motorschiffen von der oberen Seine verdrängt worden.
Die Wurst war gut, der Wein leicht, mit etwas säuerlichem Geschmack. Der Laden roch nach Zimt und Petroleum. Als sich die oberen Schleusentore öffneten, zogen die Schlepper die Lastkähne wie Küken stromaufwärts, und der Schleusenwärter kam an Maigrets Tisch, um etwas zu trinken.
»Ich dachte, Sie würden heute abend abreisen?«
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
Der Schleusenwärter zeigte eine gewisse Verlegenheit.
»Wissen Sie, wenn man auf alles hören sollte, was so erzählt wird!«
Malik nahm den Kampf auf. Er verlor keine Zeit. War er persönlich zur Schleuse gekommen?
In der Ferne konnte Maigret im Grün der Parks die stolzen Dächer der Malikschen Häuser erkennen – die Villa der alten Amorelle und ihres Schwiegersohns, die viel aufwendigere von Ernest Malik, und auf halber Höhe des Hügels das ländliche, wenn auch bürgerlich solide Gebäude mit seinen rosa gestrichenen Mauern, das den Campois gehörte. Und auf der anderen Seite des Flusses das ältliche, baufällige Herrenhaus vom alten Groux, der sich lieber mit Hypotheken belastete, als seine Wälder in Kiesgruben verwandelt zu sehen.
Monsieur Groux war nicht weit weg. Man sah ihn, immer in Khaki gekleidet, den kahlen Schädel der Sonne ausgesetzt, in einem grünen Boot sitzen, das zwischen zwei Stangen verankert war, und Angelschnüre auswerfen.
Es regte sich kein Lüftchen, und das Wasser war spiegelglatt.
»Sagen Sie, Sie kennen sich da doch aus; wird heute abend der Mond scheinen?«
»Das kommt auf die Uhrzeit an. Er geht kurz vor Mitternacht hinter dem Wald auf, den Sie dort flußaufwärts sehen. Er ist in der rechten Phase.«
Maigret war mit sich recht zufrieden, und dennoch konnte er eine leichte Bangigkeit nicht zerstreuen, die sich in seiner Brust festgesetzt hatte und die von Stunde zu Stunde zunahm, anstatt zu schwinden.
Auch eine gewisse Nostalgie. Er hatte eine kurze Zeit am Quai des Orfèvres mit Männern verbracht, die er so gut kannte und die ihn immer noch mit ›Chef‹ anredeten, obwohl …
Worüber hatten sie gesprochen, nachdem er wieder gegangen war? Bestimmt hatten sie gesagt, daß ihm der Beruf fehle. Daß er auf dem Land weniger glücklich sei, als er vorgebe. Daß er die erstbeste Gelegenheit ergreife, um seine früheren Empfindungen erneut zu wecken.
Kurz, ein Amateur! Er wirkte wie ein Amateur.
»Noch einen Schoppen?«
Der Schleusenwärter sagte nicht nein; er hatte die Angewohnheit, sich nach jedem Schluck die Lippen mit dem Ärmel abzuwischen.
»Ich nehme an, daß Georges-Henry, der junge Malik, oft zusammen mit Ihrem Sohn geangelt hat?«
»O ja, Monsieur.«
»Er hat da sicher Spaß dran?«
»Er liebt das Wasser, er liebt den Wald, die Tiere!«
»Ein guter Junge.«
»Ja, ein guter Junge. Nicht stolz. Wenn
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