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Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Titel: Maigret - 26 - Maigret regt sich auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Sehen Sie! Da steht eine Karre auf dem Seitenweg. Wenn wir sie an die Wand lehnen, wird uns das schon helfen.«
    Mimile war in Fahrt, aufgekratzt wie jemand, der sich in seinem Element fühlt.
    »Wenn man mir gesagt hätte, daß ich dieses Ding mit Ihnen drehe …«
    Sie näherten sich der alten Hundehütte oder dem ehemaligen Stall, einem eingeschossigen Ziegelgebäude mit einem zementierten Hof, von einem Gitter eingezäunt.
    »Wir brauchen keine Lampe«, flüsterte Mimile, während er das Schloß betastete.
    Die Tür war offen, und der Geruch von faulem Stroh schlug ihnen entgegen.
    »Machen Sie die Tür zu! Aber sagen Sie, hier scheint niemand drin zu sein!«
    Maigret knipste seine Taschenlampe an, und um sie herum sahen sie nichts als einen ausgehängten Trennbalken, ein mit Grünspan überzogenes Pferdegeschirr, das an einem Haken hing, und auf dem Boden eine Peitsche sowie mit Staub und Heu vermischtes Stroh.
    »Es ist hier drunter«, sagte Maigret. »Es muß eine Falltür oder irgendeine Öffnung geben.«
    Sie brauchten nur das Stroh wegzuschieben und fanden tatsächlich eine mit schweren Eisen beschlagene Falltür. Sie war lediglich mit einem Riegel verschlossen, den Maigret mit einem beklemmenden Gefühl langsam aufzog.
    »Worauf warten Sie?« zischte Mimile.
    Auf nichts. Und dennoch hatte er seit Jahren diese innere Erregung nicht mehr verspürt.
    »Soll ich aufmachen?«
    Nein. Er hob die Tür hoch. Man hörte kein Geräusch im Keller; gleichzeitig hatten sie jedoch den Eindruck, daß da ein menschliches Wesen sein mußte.
    Plötzlich fiel der Schein der Taschenlampe in den dunklen Raum unter ihnen, die weißgelben Strahlen streiften ein Gesicht, eine Gestalt, die aufsprang.
    »Bleiben Sie ruhig«, befahl Maigret mit halblauter Stimme.
    Er versuchte, der Gestalt mit der Lampe zu folgen, aber sie bewegte sich von einer Wand zur anderen wie ein gehetztes Tier.
    Er sagte mechanisch:
    »Ich bin ein Freund.«
    Mimile schlug vor:
    »Soll ich runterklettern?«
    Und von unten antwortete eine Stimme:
    »Rühren Sie mich ja nicht an!«
    »Aber nein! Nein! Wir rühren Sie nicht an.«
    Maigret redete und redete, wie in einem Traum oder wie man redet, um einem Kind seinen Alptraum zu nehmen. Und tatsächlich glich diese Szene einem Alptraum.
    »Bleiben Sie ruhig. Warten Sie, bis wir Sie rausholen.«
    »Und wenn ich nicht raus will?«
    Eine fiebernde, beißende Stimme eines Jungen mit Halluzinationserscheinungen.
    »Soll ich runter?« fragte Mimile wieder, der es eilig hatte, die Sache zu beenden.
    »Hören Sie, Georges-Henry! Ich bin ein Freund. Ich weiß alles.«
    Und nun war es plötzlich, als habe er das Zauberwort aus der Märchenwelt ausgesprochen. Von einer Sekunde zur anderen hörte das Hin und Her auf. Ein minutenlanges Schweigen folgte, dann fragte eine veränderte Stimme mißtrauisch: »Was wissen Sie?«
    »Wir müssen hier erst raus, junger Mann. Ich schwöre Ihnen, daß Sie nichts zu fürchten haben.«
    »Wo ist mein Vater? Was haben Sie mit ihm gemacht?«
    »Ihr Vater ist in seinem Zimmer, vermutlich im Bett.«
    »Das ist nicht wahr!«
    Der Ton war voller Bitterkeit. Man täuschte ihn. Er war sich nahezu sicher, daß er getäuscht wurde, wie man ihn immer getäuscht hatte. Das war es, diese Besessenheit, die seine Stimme dem allmählich ungeduldigen Kommissar verriet.
    »Ihre Großmutter hat mir alles erzählt.«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Sie hat mich aufgesucht und …«
    Und der Junge schrie es fast heraus:
    »Sie weiß nichts! Ich allein …«
    »Psst! Haben Sie Vertrauen, Georges-Henry. Kommen Sie. Wenn Sie hier raus sind, sprechen wir in Ruhe über alles.«
    Würde er sich überreden lassen? Wenn nicht, müßten sie in das Loch hinabsteigen, gewaltsam vorgehen, sich seiner bemächtigen, und vielleicht würde er sich wehren, kratzen, beißen wie ein blindwütiges junges Tier.
    »Soll ich runter?« wiederholte Mimile, der nicht mehr so ruhig war und sich manchmal ängstlich zur Tür umdrehte.
    »Hören Sie, Georges-Henry. Ich bin von der Polizei.«
    »Das geht die Polizei nichts an! Ich verabscheue die Polizei! Ich verabscheue die Polizei!«
    Er unterbrach sich. Er hatte plötzlich eine Idee, und in anderem Tonfall fuhr er fort:
    »Übrigens, wenn Sie von der Polizei sind, hätten Sie …«
    Er brüllte:
    »Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Gehen Sie! Sie lügen! Sie wissen ganz genau, daß Sie lügen! Sagen Sie meinem Vater …«
    In diesem Augenblick donnerte eine Stimme von der Tür her, die

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