Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
hinüberglitt, der dem Erwachen vorausgeht. Manchmal zog sich seine Stirn in Falten. Sein Mund öffnete sich, als ob er sprechen wollte. Sicher träumte er, daß er redete. Er lehnte sich auf. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften sagte er nein.
Dann schmollte er wieder, und man war schon auf Tränen gefaßt. Aber er weinte nicht. Er wälzte sich zunächst mit seinem ganzen Gewicht auf der Matratze herum, so daß sie knarrte. Er verjagte eine Fliege, die sich auf seine Nase gesetzt hatte. Seine Lider zitterten, waren irritiert vom eindringenden Sonnenlicht.
Endlich schlug er die Augen weit auf, starrte naiv staunend auf die schräge Zimmerdecke, dann auf die massige schwarze Gestalt des Kommissars, die sich ihm im Gegenlicht darbot.
Schlagartig kehrten seine Lebensgeister zurück. Anstatt unruhig zu werden, blieb er unbeweglich liegen, und ein entschlossener Wille, mit dem er ein wenig an seinen Vater erinnerte, prägte sein Gesicht und verhärtete seine Züge.
»Ich werde trotzdem nichts sagen«, erklärte er.
»Ich fordere Sie nicht auf, mir auch nur das Geringste zu sagen«, erwiderte Maigret keineswegs barsch. »Und außerdem, was könnten Sie mir schon sagen?«
»Warum hat man mich verfolgt? Was tun Sie in meinem Zimmer? Wo ist mein Vater?«
»Er ist zu Hause geblieben.«
»Sind Sie sicher?«
Man konnte meinen, er wage sich nicht zu rühren, als könne die leiseste Bewegung eine unbekannte Gefahr über ihm zusammenziehen. Er blieb auf dem Rücken liegen, hatte die Nerven angespannt und die Augen weit aufgerissen.
»Sie haben kein Recht, mich so zu verfolgen. Ich bin ein freier Mensch. Ich habe nichts getan.«
»Möchten Sie lieber, daß ich Sie zu Ihrem Vater zurückbringe?«
Erschrecken in seinen grauen Augen.
»Dabei würde das die Polizei sofort machen, wenn sie Ihrer habhaft würde. Sie sind nicht volljährig. Sie sind noch ein Kind.«
Da richtete er sich unvermittelt auf, als packe ihn ein Anfall der Verzweiflung.
»Aber ich will nicht! … Ich will nicht!« brüllte er.
Maigret vernahm Mimile, der sich auf dem Treppenabsatz bewegte und der den Kommissar für einen Rohling halten mußte.
»Ich will, daß man mich in Ruhe läßt! Ich will …«
Der Kommissar fing den wilden Blick auf, den der junge Mann auf die Fensteröffnung warf, und begriff. Wenn er nicht zwischen ihm und dem Mansardenfenster gestanden hätte, wäre Georges-Henry fähig gewesen, sich ins Leere zu stürzen.
»Wie Ihre Kusine? …« bemerkte er bedächtig.
»Wer hat Ihnen gesagt, daß meine Kusine …«
»Hören Sie zu, Georges-Henry.«
»Nein …«
»Sie müssen mir aber zuhören. Ich weiß, in welcher Situation Sie stecken.«
»Das ist nicht wahr.«
»Soll ich deutlicher werden?«
»Ich verbiete es Ihnen. Verstehen Sie!«
»Psst! … Sie können nicht zu Ihrem Vater zurück, und Sie haben auch keine Lust dazu.«
»Ich werde nie wieder zurückkehren.«
»Andererseits sind Sie in einer geistigen Verfassung, die Sie leicht eine Dummheit begehen läßt.«
»Das ist meine Sache.«
»Nein. Das geht auch andere etwas an.«
»Kein Mensch interessiert sich für mich.«
»Jedenfalls ist es erforderlich, daß Sie für ein paar Tage überwacht werden.«
Der junge Mann grinste verbittert.
»Und ich bin entschlossen, das zu tun«, fuhr Maigret fort, während er sich friedlich seine Pfeife anzündete. »Im Guten oder im Bösen … Das hängt ganz von Ihnen ab.«
»Wo wollen Sie mich hinbringen?«
Und wieder dachte er offenbar an eine Fluchtmöglichkeit.
»Das weiß ich noch nicht. Ich gebe zu, daß die Lage heikel ist, aber auf alle Fälle können Sie nicht länger in dieser Behausung bleiben.«
»Mindestens genausogut wie in einem Keller.«
Na also! Immerhin hatte er die Fähigkeit zurückgewonnen, sein eigenes Schicksal ironisch zu betrachten.
»Zunächst gehen wir einmal nett miteinander essen. Sie haben Hunger. Aber wenn …«
»Ich esse trotzdem nichts.«
Mein Gott, wie jung er sein konnte!
»Ich allerdings werde etwas essen. Ich habe einen Mordshunger«, bekräftigte Maigret. »Sie werden vernünftig sein. Der Freund, den Sie kennen und der Sie bis hierher verfolgt hat, ist gewandter als ich und wird ein Auge auf Sie haben. Nicht wahr, Georges-Henry? Ein Bad hätte jetzt gutgetan, doch hier sehe ich keine Möglichkeit dazu. Waschen Sie sich das Gesicht.«
Er gehorchte mit trotziger Miene. Maigret öffnete die Tür. »Komm rein, Mimile. Ich nehme an, das Taxi steht noch unten. Wir wollen alle
Weitere Kostenlose Bücher