Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
vielleicht hatten liegenlassen. Jetzt stellte sich die Frage anders, präziser. Nämlich: was Victor selber noch hatte holen wollen.
    »Ich habe alles in das obere Schubfach der Kommode getan.«
    Kämme, eine Schachtel mit Haarnadeln, Muscheln mit dem Namen eines Seebades in der Normandie, ein Reklamebrieföffner, ein Drehbleistift, der nicht mehr funktionierte, all der kleine Krimskrams, den man in Häusern haufenweise antrifft, lag dort.
    »Ist das alles?«
    »Sogar ein angebrochenes Päckchen Zigaretten und eine alte zerbrochene Pfeife habe ich hineingelegt. Bleiben wir noch lange hier?«
    »Das weiß ich noch nicht. Langweilen Sie sich?«
    »Ich, nein. Aber einige von den Gästen werden zu vertraulich, und mein Mann fängt an, ungeduldig zu werden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er einem von ihnen ins Gesicht schlägt …«
    Maigret durchwühlte weiter die Schublade und nahm dann eine kleine Mundharmonika mit deutschem Markenzeichen heraus, die schon ziemlich abgenutzt aussah. Zur großen Überraschung Irmas steckte er sie in die Tasche.
    »Ist das alles?«, fragte sie.
    »Das ist alles.«
    Einige Minuten später rief er unten Monsieur Loiseau an und fragte ihn:
    »Sagen Sie, lieber Monsieur Loiseau, hat Albert Mundharmonika gespielt?«
    »Nicht dass ich wüsste«, erwiderte der über diese Frage völlig verdutzte Monsieur Loiseau. »Er hat gesungen, aber ich habe nie gehört, dass er irgendein Instrument spielte.«
    Maigret fiel plötzlich die Mundharmonika ein, die in der Rue du Roi-de-Sicile gefunden worden war. Gleich darauf rief er den Wirt des ›Lion d’Or‹ an.
    »Hat Victor Mundharmonika gespielt?«
    »Allerdings. Er spielte sogar beim Gehen auf der Straße.«
    »War er der Einzige, der Mundharmonika spielte?«
    »Serge Madok auch.«
    »Hatte jeder seine eigene?«
    »Ich glaube, ja. Ich bin sogar sicher, denn sie spielten manchmal im Duett.«
    Als Maigret das Zimmer im ›Lion d’Or‹ durchsucht hatte, hatte er aber nur eine gefunden.
    Was Victor, der Schwachsinnige, ohne Wissen seiner Komplizen am Quai de Charenton hatte holen wollen und weshalb er schließlich hatte sterben müssen, war seine Mundharmonika gewesen.

8
    Was an diesem Nachmittag passierte, sollte fortan zu den Geschichten gehören, die Madame Maigret bei Familientreffen lächelnd zum Besten gab.
    Dass Maigret um zwei Uhr nach Hause kam, nichts essen wollte und sich sofort ins Bett legte, war noch nicht einmal so außergewöhnlich, obwohl er sonst immer, zu welcher Zeit er auch heimkam, als Erstes in die Küche ging und in die Töpfe guckte. Er behauptete zwar, er hätte bereits gegessen. Aber als sie wenig später, während er sich auszog, nachhakte, gestand er, in der Küche des ›Petit Albert‹ eine Scheibe Schinken stibitzt zu haben.
    Sie zog die Vorhänge zu, überzeugte sich davon, dass es ihrem Mann an nichts fehlte, und ging auf Zehenspitzen hinaus. Sie hatte die Tür noch nicht ganz zugemacht, als er bereits fest eingeschlafen war.
    Nachdem sie das Geschirr abgewaschen und die Küche aufgeräumt hatte, wartete sie eine ganze Weile, bevor sie ins Schlafzimmer ging, um ihr Strickzeug zu holen, das sie vergessen hatte. Sie horchte zuerst an der Tür, hörte regelmäßiges Atmen, drückte behutsam auf die Klinke und ging auf Zehenspitzen ins Zimmer, lautlos wie eine Krankenschwester. In diesem Augenblick sagte er mit ein wenig belegter Stimme, während er ruhig weiteratmete, als schliefe er noch:
    »Unglaublich! Zweieinhalb Millionen in fünf Monaten …«
    Er hatte die Augen geschlossen, und seine Wangen waren lebhaft gerötet. Sie glaubte, er spräche im Schlaf, blieb aber trotzdem sofort stehen, um ihn nicht zu wecken.
    »Wie würdest du es anstellen, um das alles auszugeben?«
    Sie wagte nicht zu antworten, überzeugt, dass er träumte. Ohne auch nur die Lider zu bewegen, fuhr er ungeduldig fort:
    »Antworte, Madame Maigret!«
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie, »wie viel hast du gesagt?«
    »Zweieinhalb Millionen. Wahrscheinlich noch viel mehr. Das ist das Minimum, das sie auf den Höfen erbeutet haben. Und ein großer Teil davon sind Goldstücke. Natürlich – Pferderennen …«
    Er drehte sich schwerfällig um, schlug ein Auge halb auf und starrte seine Frau einen Augenblick an.
    »Es führt alles immer wieder zu den Pferderennen zurück, verstehst du?«
    Sie wusste, dass er nicht zu ihr, sondern zu sich selbst sprach. Sie wartete darauf, dass er wieder einschlafen würde, um sich dann, auch ohne ihr

Weitere Kostenlose Bücher