Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
wahrscheinlich. Wenn sie sich nicht getrennt haben, haben sie mindestens einen von ihnen dorthin geschickt. Wenn sie sich getrennt haben, ohne etwas miteinander auszumachen, würde es mich nicht wundern, wenn alle drei dort auftauchen würden. Wir hätten die schönste Gelegenheit, sie zu schnappen, sogar ohne sie zu kennen. In der Menge ist es leicht, Kerle von diesem Kaliber zu entdecken. Wenn ich daran denke, dass Janvier jetzt dort ist, und ich habe ihm nichts davon gesagt. Dreißig Inspektoren auf der Rennbahn verteilt – und schon haben wir sie! Wie spät ist es?«
»Zu spät. Das sechste Rennen ist vor einer halben Stunde zu Ende gegangen.«
»Siehst du! Da glaubt man, an alles zu denken. Als ich mich um zwei Uhr schlafen gelegt habe, war ich überzeugt, ich hätte das Menschenmögliche getan. Meine Leute sehen bei Citroën die Lohnlisten durch; das Javel-Viertel wird durchkämmt. Das Krankenhaus ›Laënnec‹ ist umzingelt. Alle Viertel, wohin Leute wie unsere Tschechen sich flüchten könnten, werden ganz genau unter die Lupe genommen. Clochards und Bettler werden verhört. Die Hotels werden durchsucht. Moers sitzt oben in seinem Labor und analysiert bis auf das winzigste Haar alles, was wir in der Rue du Roi-de-Sicile gefunden haben. Und inzwischen haben die Burschen in Vincennes bestimmt Gelegenheit gehabt, mit ihrem Anführer Kontakt aufzunehmen.«
Colombani schien ebenfalls ein Stammkunde auf dem Rennplatz zu sein, denn seine Angaben erwiesen sich als richtig. Das Telefon klingelte. Janvier war am Apparat.
»Ich bin immer noch in Vincennes, Chef. Ich habe versucht, Sie am Quai zu erreichen.«
»Sind die Rennen schon zu Ende?«
»Seit einer halben Stunde. Ich bin noch bei den Angestellten geblieben. Während der Rennen kann man nur schwer mit ihnen reden, weil sie unheimlich viel zu tun haben. Ich wundere mich nur, dass ihnen da keine Fehler unterlaufen. Ich habe sie wegen der Wetten gefragt. Der an dem Schalter für tausend Franc reagierte sofort auf meine Frage. Er ist viel in Europa herumgekommen und kennt sich in verschiedenen Sprachen aus. ›Ein Tscheche?‹, hat er gefragt. ›Zu mir kommt immer einer, der sehr hoch setzt, und fast immer auf Outsider. Am Anfang habe ich geglaubt, es sei jemand von der Botschaft.‹«
»Warum?«, fragte Maigret.
»Er scheint ein sehr gepflegter, mit raffinierter Eleganz gekleideter Mann zu sein. Er verliert sozusagen mit schöner Regelmäßigkeit, aber das erschüttert ihn nicht im Geringsten, kaum dass er den Mund zu einem schwachen Lächeln verzieht. Dem Angestellten ist er aber vor allem wegen der Frau aufgefallen, die ihn meistens begleitet.«
Maigret stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er warf Colombani einen fröhlichen Blick zu, der zu sagen schien:
»Wir haben sie!«
»Na also, eine Frau!«, rief er in den Apparat. »Eine Ausländerin?«
»Eine Pariserin. Warten Sie! Ihretwegen bin ich noch hier auf dem Rennplatz geblieben. Hätte ich früher mit dem Angestellten sprechen können, hätte er mir das Paar gezeigt, denn sie waren heute Nachmittag hier.«
»Wie sieht die Frau aus?«
»Also: Sie soll blutjung und sehr schön sein. Sie lässt sich von den führenden Modeschöpfern einkleiden. Das ist aber nicht alles, Chef. Der Angestellte behauptet, es sei eine Filmschauspielerin. Er geht nur selten ins Kino und kennt deshalb die Namen der Stars nicht. Übrigens meint er, sie sei kein Star, sondern spiele in Nebenrollen. Ich habe ihm jede Menge Namen genannt, aber umsonst.«
»Wie spät ist es?«
»Dreiviertel sechs.«
»Da du schon in Vincennes bist, fahr gleich nach Joinville. Das ist nicht weit. Bitte den Buchmacher, dich zu begleiten.«
»Er sagt, er stehe mir zur Verfügung.«
»Gleich hinter der Brücke sind die Filmateliers. In der Regel werden bei den Filmproduzenten die Fotos aller Künstler aufbewahrt, einschließlich der Darsteller kleiner Rollen, und wenn man einen neuen Film besetzt, sieht man diese Sammlung durch. Verstehst du?«
»Ja, ich habe verstanden. Wo kann ich Sie erreichen?«
»Bei mir zu Hause.«
Als er sich wieder in seinen Sessel setzte, war die Spannung von ihm abgefallen.
»Vielleicht klappt es«, sagte er.
»Vorausgesetzt natürlich, dass es wirklich unser Tscheche ist.«
Maigret füllte die kleinen Gläser mit dem Goldrand, klopfte seine Pfeife aus und stopfte sich eine neue.
»Ich glaube, wir haben eine bewegte Nacht vor uns. Hast du die Kleine kommen lassen?«
»Sie ist seit drei Stunden
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