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Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Titel: Maigret - 31 - Mein Freund Maigret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zuviel werden konnte. Maigret behauptete gern, halb im Ernst, halb im Scherz, er habe es von jeher schon morgens im Bett gespürt, daß wieder einmal Sonntag sei.
    Hier ging mit den Glocken etwas äußerst Merkwürdiges vor. Das waren keine richtigen Kirchenglocken, sondern bimmelnde Glöckchen, wie sie Kapellen oder Klöster haben. Die Luft schien hier ganz anders beschaffen zu sein als anderswo. Man hörte zwar den Klöppel ganz deutlich gegen die Bronze schlagen, wodurch etwas wie ein Ton entstand, aber dann begann das Seltsame: ein Ring bildete sich am blassen und noch kühlen Himmel, dehnte sich zögernd aus, wie man es von den beim Rauchen entstehenden Ringen kennt, wurde zu einem großen Kreis, aus dem wie durch einen Zauber immer größere und vollkommenere Kreise hervorgingen. Die Kreise schwebten über dem Platz, den Häusern, über dem Hafen und weit hinaus bis über das Meer, auf dem kleine Boote schaukelten. Man sah sie jenseits der Hügel und Felsen, und kaum waren sie verschwunden, schlug der Klöppel von neuem an das Metall, und andere tönende Kreise entstanden und dehnten sich aus. Und so ging es weiter, und man nahm diesen sonderbaren Vorgang mit jener kindlichen Bestürzung wahr, die man beim Anblick eines Feuerwerks empfindet.
    Selbst die Schritte auf dem holprigen Boden des Platzes klangen anders als sonst, und Maigret, der daraufhin aus dem Fenster blickte, hätte sich nicht gewundert, dort unten Erstkommunikantinnen zu sehen, deren kleine Beine sich in den Schleiern verhedderten.
    Wie am Tage vorher zog er Pantoffeln und Hose an, streifte den Rock über das am Halse mit einer roten Borte besetzte Nachthemd und ging hinunter. Aber er war enttäuscht, als er in die Küche kam. Unbewußt hatte er erwartet, Jojo dort wie gestern morgen beim Kochen des Kaffees am Herd stehen zu finden, während das Licht von draußen durch die offene Tür hereinfiel. Heute jedoch waren dort vier oder fünf Fischer versammelt. Sie schienen Schnaps getrunken zu haben, denn es roch im ganzen Raum danach. Auf dem Fliesenboden waren aus einem Korb Fische ausgeschüttet: rosa, blaue und grüne Fische, deren Namen Maigret nicht kannte, darunter eine Art rot und gelb gefleckter Seeschlange, die noch lebte und sich um das Bein eines Stuhls wand.
    »Möchten Sie eine Tasse Kaffee haben, Monsieur Maigret?«
    Es war nicht Jojo, die sie ihm brachte, sondern der Wirt. Vielleicht hatte auch das mit dem Sonntag zu tun. Maigret kam sich wie ein Kind vor, das man um seine Freude bringt.
    Er erlebte das manchmal an sich, besonders morgens oder wenn er vor den Spiegel trat, um sich zu rasieren. Er musterte sein breites Gesicht mit den dicken Säcken unter den großen Augen und dem immer spärlicher werdenden Haar und sagte dann, wie um sich Angst einzujagen, mit betont strenger Stimme zu sich selbst: »Da ist ja der Herr Kommissar.«
    Wer hätte gewagt, ihn nicht ernst zu nehmen? Scharen von Leuten, die kein gutes Gewissen hatten, zitterten schon, wenn sie seinen Namen hörten. Er hatte die Macht, sie zu verhören, bis sie vor Angst winselten, sie einzusperren oder sie der Guillotine zu überantworten.
    Wie er, hörte jemand in diesem Augenblick auf der Insel den Klang der Glocken und atmete den sonntäglichen Frieden, einer, der am Abend vorher im gleichen Raum wie er getrunken hatte und in wenigen Tagen für immer hinter Mauern verschwinden würde.
    Er trank seine Tasse Kaffee aus, goß sich eine zweite ein, die er in sein Zimmer mitnahm, und es fiel ihm schwer sich vorzustellen, daß das alles ernst war. Es war noch gar nicht so lange her, daß er kurze Hosen trug und in der kalten Morgenluft mit erstarrten Fingern über den Platz seines Dorfes lief, um in der kleinen Kirche, die nur von Kerzen erhellt war, bei der Messe zu dienen. Jetzt war er ein Erwachsener. Alle hielten ihn dafür, und nur er selber konnte es manchmal kaum glauben.
    Ob andere bisweilen dasselbe Gefühl hatten? Ob Mr. Pyke beispielsweise sich hin und wieder fragte, ob man ihn ernst nehmen könne? Kam ihm nicht auch, wenn auch freilich nur selten, alles wie ein Spiel, das ganze Leben als etwas höchst Lächerliches vor?
    Und war der Major im Grunde etwas anderes als einer der dicken Jungen, wie es sie in jeder Schulklasse gibt, einer dieser schläfrigen Fettklöße, die der Lehrer nicht ganz ernst nehmen kann?
    Mr. Pyke hatte am Abend vorher, kurz vor dem Zwischenfall mit Polyte, etwas Schreckliches gesagt. Es war unten gewesen, wo sich wie jeden Abend fast

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