Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
man immer von Frauen, wenn sie ihre Zukunft sichern wollen. Und man fällt über sie her, wenn sie aus Not allein und nicht aus freien Stücken einen bestimmten Beruf ausüben.« Ihre Stimme klang plötzlich bitter.
»Ich dachte, Sie wollten Monsieur Emil heiraten?«
»Aber erst nach Justines Tod, und wenn sie nicht vorher noch Verfügungen trifft, die ihrem Sohn eine Heirat unmöglich machen. Wenn Sie glauben, daß ich das mit innerer Freude tue!«
»Jedenfalls wenn Marcels Tip gut war und Sie damit Erfolg hätten, würden Sie sich nicht verheiraten?«
»Bestimmt nicht mit diesem elenden Schwächling.«
»Würden Sie das Haus in Nizza verlassen?«
»Auf der Stelle, das kann ich Ihnen schwören.«
»Und was würden Sie dann tun?«
»Ich würde irgendwo auf dem Lande leben und mir Hühner und Kaninchen halten.«
»Was hat Marcellin Ihnen am Telefon gesagt?«
»Sie werden ja doch wieder nur sagen, ich lüge.«
»Jetzt nicht mehr.«
»Na, also endlich! Er hat mir gesagt, er sei zufällig einem großen Schwindel auf die Spur gekommen. Genau die Worte hat er gebraucht. Und er hat dann noch hinzugefügt, das könnte eine Menge einbringen, aber er sei noch nicht fest entschlossen.«
»Hat er dabei nicht auf jemand angespielt?«
»Nein. So geheimnisvoll war er sonst noch nie gewesen. Er brauchte eine Auskunft. Er hat mich gefragt, ob wir ein großes Lexikon im Hause hätten, eins, das aus sehr vielen Bänden besteht. Ich habe ihm geantwortet, nein, das hätten wir nicht. Darauf hat er mich gedrängt, in die Stadtbibliothek zu gehen, um dort etwas nachzuschlagen.«
»Was wollte er denn wissen?«
»Na, jetzt hat ja doch alles keinen Zweck mehr.«
»Nein, allerdings nicht.«
»Begriffen habe ich freilich von dem allem überhaupt nichts. Ich hoffte, wenn ich hier wäre, würde mir eine Erleuchtung kommen.«
»Wer ist im Jahre 1890 gestorben?«
»Hat man Ihnen mein Telegramm gezeigt? Hat er es nicht vernichtet?«
»Die Post hat wie gewöhnlich ein Duplikat davon.«
»Ein gewisser van Gogh, ein Maler. Ich habe gelesen, daß er sich das Leben genommen hat. Er war sehr arm, und heute jagt man sich seine Bilder ab, die ich weiß nicht wieviel wert sind. Ich habe mich gefragt, ob Marcel eins davon aufgetrieben hätte.«
»Und das hatte er nicht?«
»Ich glaube nicht. Als er mich angerufen hat, wußte er nicht einmal, daß dieser Mann bereits tot ist.«
»Was haben Sie sich dabei gedacht?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Ich habe mir nur gesagt, wenn Marcel mit dieser Auskunft Geld verdienen kann, kann ich es auch. Vor allem, als ich hörte, daß man ihn ermordet hatte. Man ermordet ja niemand zum Vergnügen. Er hatte keinen Feind. Man konnte ihm nichts stehlen, verstehen Sie?«
»Vermuten Sie, daß das Verbrechen mit dem betreffenden van Gogh zusammenhängt?«
Maigret sagte das ohne Ironie. Er paffte immer noch seine Pfeife und blickte dabei hinaus.
»Sie haben zweifellos recht gehabt.«
»Aber zu spät, denn nun sind Sie hier, und mir nützt das alles nichts mehr. Muß ich noch weiter hierbleiben? Bedenken Sie, für mich sind das Ferien, und solange Sie mich hier festhalten, kann die alte Megäre mir nichts sagen.«
»Nun, dann bleiben Sie.«
»Ich danke Ihnen. Sie sind jetzt wieder fast so, wie ich Sie in Paris gekannt habe.«
Er gab sich nicht die Mühe, das Kompliment zu erwidern.
»Ruhen Sie sich etwas aus.«
Er ging die Treppe hinunter, kam an Chariot vorüber, der ihn spöttisch anblickte, und setzte sich wieder zu Lechat auf die Terrasse.
Es war die schönste Stunde des Tages. Die ganze Insel entspannte sich, und das Meer ringsherum, die Bäume, die Felsen, der Platz, alles schien nach der sengenden Hitze aufzuatmen.
»Haben Sie etwas Neues herausbekommen, Chef?«
Maigret bestellte erst etwas bei Jojo, die gerade vorbeikam und die ihm anscheinend grollte, weil er so lange oben bei Ginette gewesen war.
»Ich befürchte, ja«, seufzte er schließlich.
Und als der Inspektor ihn überrascht ansah, setzte er hinzu:
»Ich will damit sagen, ich werde wohl nicht mehr lange hierbleiben müssen. Und man ist hier so gut aufgehoben, nicht wahr? Nur Mr. Pyke dürfte nicht da sein.«
War aber nicht schon allein Mr. Pykes wegen und allem, was er bei Scotland Yard erzählen würde, ein rascher Erfolg besser?
»Sie werden aus Paris verlangt, Monsieur Maigret.«
Es handelte sich wahrscheinlich um die Auskünfte aus Ostende.
8
Mr. Pyke und die Großmutter
Es war so sonntäglich, daß es einem fast
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