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Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Titel: Maigret - 31 - Mein Freund Maigret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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alle eingefunden hatten. Ganz selbstverständlich hatte sich der Inspektor von Scotland Yard zu dem Major an den Tisch gesetzt, und trotz ihres Altersunterschieds und ihres ungleichen Leibesumfangs hatten sie wie zwei Brüder gewirkt. Sie schienen schon seit dem späten Nachmittag, als Mr. Pyke seinen Landsmann in der Villa aufgesucht hatte, getrunken zu haben. Man konnte es an ihren verglasten Augen und schweren Zungen merken. Aber sie hatten doch wiederum nicht so tief ins Glas geguckt, um ihre Würde zu verlieren. Nicht nur im College hatten sie die gleichen Manieren gelernt, sondern auch später, Gott weiß wo, hatte man ihnen beiden beigebracht, Alkohol gut zu vertragen.
    Sie waren nicht traurig, eher ein wenig von Heimweh geplagt, ein wenig abwesend. Jeder wirkte wie ein ›lieber Gott‹, der das Treiben der Welt mit melancholischer Milde betrachtet. Als Maigret sich dann neben Mr. Pyke setzte, hatte dieser geseufzt:
    »Seit voriger Woche ist sie Großmutter.«
    Er vermied dabei, jene Frau, der diese Worte galten, anzusehen, wie er überhaupt niemals ihren Namen erwähnte, aber es war sonnenklar, daß nur Mrs. Wilcox damit gemeint sein konnte. Sie saß mit Philippe in der anderen Ecke des Raumes. Der Holländer und Anna hatten am Nebentisch Platz genommen.
    Nach einer Weile hatte Mr. Pyke im selben gleichgültigen Ton hinzugefügt:
    »Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn erlauben ihr nicht, nach England zurückzukehren. Der Major kennt die beiden sehr gut.«
    Das arme alte Geschöpf! Plötzlich entdeckte man nämlich, daß sie in Wirklichkeit eine alte Frau war. Es verging einem das Lachen über ihr geschminktes Gesicht, ihr gefärbtes Haar – das an den Wurzeln weiß war – und ihre künstliche Lebhaftigkeit.
    Sie war Großmutter, und Maigret erinnerte sich, daß er bei ihrem Anblick an seine Großmutter hatte denken müssen. Er hatte versucht, sich vorzustellen, wie er sich als Kind benommen hätte, wenn man ihm eine Frau wie Mrs. Wilcox gezeigt und ihm gesagt hätte:
    »Gib deiner Großmutter einen Kuß.«
    Man verbot ihr, in ihrem eigenen Lande zu leben, und sie fügte sich. Aber sie wußte genau, daß sie nichts dagegen vermochte, weil sie im Unrecht war. Sie erinnerte an jene Trunkenbolde, denen man nur das allernötigste Taschengeld gibt und die dann durch allerlei Listen hier und dort ein Gläschen zu ergattern versuchen. War sie, wie die Säufer, auch manchmal über ihr Schicksal gerührt und weinte ganz allein in ihrer Ecke?
    Vielleicht, wenn sie viel getrunken hatte. Denn sie trank ebenfalls. Philippe füllte ihr immer wieder das Glas, während Anna nur an das eine dachte: an den Augenblick, da sie endlich ins Bett kommen würde.
     
    Maigret rasierte sich. Er hatte nicht ins Badezimmer gehen können, weil Ginette noch da war.
    »Nur fünf Minuten noch!« hatte sie ihm durch die Tür zugerufen.
    Er blickte hin und wieder auf den Platz hinaus, der ganz anders aussah als an anderen Tagen, selbst jetzt, als die Glocken verstummt waren. Der Pfarrer las die erste Messe. Bei dem in Maigrets Dorf ging das so schnell, daß er als Ministrant kaum Zeit gehabt hatte, die Antworten zu sagen, während er ihm die Geräte reichte.
    Wie merkwürdig war doch sein Beruf! Er war nur ein Mensch wie alle anderen und hielt doch so viele Schicksale in seinen Händen.
    Er sah sie wieder alle vor sich, die am Abend vorher dort unten gesessen hatten.
    Er hatte nicht viel getrunken, aber immerhin genug, um ein ganz leises Gefühl des Mitleids in sich zu spüren.
    Van Greef hatte ihn ein paarmal mit stummer Ironie fixiert und gleichsam herausgefordert. Philippe war trotz seines schönen Namens und seiner Ahnen aus gröberem Stoff und bemühte sich jedesmal, wenn Mrs. Wilcox ihn wie einen Diener kommandierte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
    Er würde sich gewiß bei einer anderen Gelegenheit dafür rächen, aber jetzt mußte er vor aller Augen die Demütigungen herunterschlucken.
    Es war soviel, daß es den anderen schließlich peinlich wurde. Der arme Paul, der glücklicherweise nicht wußte, woher der Schlag kam, hatte hinterher alle Mühe, seine Gäste wieder in Stimmung zu bringen.
    Sicherlich sprachen sie unten darüber. Die ganze Insel würde darüber reden. Würde Polyte das Geheimnis hüten? Nun, jetzt war das ziemlich gleichgültig.
    Polyte stand an der Theke, mit seiner Kapitänsmütze auf dem Kopf, und hatte schon eine ganze Anzahl von Schnäpsen getrunken. Er sprach so laut, daß seine Stimme alle

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