Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Sie zeugen kann.«
Sie sah ihn entgeistert an, blickte dann zu Maigret hin, und es war plötzlich etwas Irres in ihren Augen.
»Ist dies ein Verhör?« fragte sie. »Aber … sagen Sie, Herr Kommissar … ich nehme doch nicht an, daß Sie vermuten, Philippe und ich hätten diesen Mann ermordet.«
Maigret schwieg einen Augenblick und starrte dabei auf seine Pfeife.
»Ich verdächtige niemanden a priori, Mrs. Wilcox. Dennoch, dies ist ein Verhör, und Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern.«
»Warum sollte ich sie verweigern? Wir sind sofort zurückgefahren, obwohl das Ruderboot voller Wasser war und wir uns an die Leiter klammern mußten, um wieder an Bord zu kommen.«
»Ist Philippe nicht noch einmal zurückgefahren?« Sie zögerte mit der Antwort. Die Anwesenheit ihres Landsmanns schien sie verlegen zu machen.
»Wir sind gleich schlafen gegangen, und er hätte nicht von Bord gehen können, ohne daß ich es hörte.«
Philippe wählte diesen Augenblick, um wieder hereinzukommen. Er hatte eine weiße Flanellhose angezogen, sich das Haar mit Fixativ festgelegt und sich eine Zigarette angesteckt. Er wollte jetzt den Mutigen spielen und wandte sich unmittelbar an Maigret.
»Haben Sie mir Fragen zu stellen, Herr Kommissar?«
Maigret tat so, als sähe er ihn gar nicht.
»Kaufen Sie oft Bilder, Madame?«
»Ziemlich oft. Das ist eine meiner Marotten. Wenn ich auch nicht gerade eine Bildergalerie besitze, so habe ich doch allerlei recht Gutes.«
»In Fiesole?«
»Ja, in Fiesole.«
»Italienische Meister?«
»So weit versteige ich mich nicht. Ich bin bescheidener und begnüge mich mit modernen Bildern.«
»Mit Cézannes oder Renoirs zum Beispiel?«
»Ich habe einen entzückenden kleinen Renoir.«
»Degas, Manet, Monet?«
»Eine Zeichnung von Degas, eine Tänzerin.«
»Van Gogh?«
Maigret sah sie nicht an, sondern fixierte Philippe, der so aussah, als ob ihm etwas in der Kehle steckte, und dessen Blick völlig erstarrte.
»Ich habe eben einen van Gogh gekauft.«
»Wie lange ist das her?«
»Ein paar Tage. An welchem Tag sind wir nach Hyères gefahren, um ihn aufzugeben, Philippe?«
»Ich kann mich nicht mehr genau erinnern«, antwortete dieser mit leiser Stimme.
Maigret half ihrem Gedächtnis nach.
»War es nicht einen oder zwei Tage vor Marcellins Tod?«
»Zwei Tage davor«, sagte sie. »Ich erinnere mich jetzt wieder.«
»Haben Sie das Bild hier aufgetrieben?«
Sie nahm sich gar nicht die Zeit zu überlegen, aber als es heraus war, biß sie sich auf die Lippen.
»Philippe«, begann sie, »hat durch einen Freund …«
Sie merkte am Schweigen der drei Männer, daß sie das nicht hätte sagen dürfen, sah sie nacheinander an und rief:
»Was soll das, Philippe?«
Sie hatte sich jäh erhoben und ging auf den Kommissar zu.
»Wollen Sie es nicht sagen? So reden Sie doch! Warum sagen Sie nichts mehr? Philippe! Was ist denn …?«
Philippe rührte sich noch immer nicht.
»Entschuldigen Sie, Madame, aber ich muß Ihren Sekretär mitnehmen.«
»Sie verhaften ihn? Aber ich sage Ihnen doch, er war hier, er ist die Nacht bei mir geblieben, er …«
Maigret und Mr. Pyke hatten sich ebenfalls erhoben.
»Wollen Sie mir folgen, Monsieur de Moricourt?«
»Haben Sie einen Haftbefehl?«
»Ich werde einen vom Untersuchungsrichter erbitten, wenn Sie es fordern, aber ich glaube nicht, daß das der Fall sein wird.«
»Nehmen Sie mich fest?«
»Noch nicht.«
»Wohin führen Sie mich?«
»Irgendwohin, wo wir uns in aller Ruhe unterhalten können. Meinen Sie nicht, daß das besser ist?«
»Sagen Sie mir, Philippe …«, begann Mrs. Wilcox.
Ohne daß es ihr selbst zum Bewußtsein kam, sprach sie plötzlich englisch. Philippe hörte nicht hin, sah sie nicht an, kümmerte sich nicht mehr um sie. Als er zum Deck hinaufging, warf er ihr nicht einmal einen Blick zum Abschied zu.
»Das wird Sie nicht viel weiterbringen«, sagte er zu Maigret.
»Das kann schon sein.«
»Werden Sie mir vielleicht Handschellen anlegen?«
Es war immer noch Sonntag, und von der ›Cormoran‹, die im Hafen anlegte, kamen Menschen in heller Sommerkleidung an Land. Schon hockten Touristen auf den Felsen und angelten. Mr. Pyke verließ die Kajüte als letzter, und als er in dem Boot Platz nahm, war er dunkelrot. Lechat, der es noch nicht fassen konnte, daß er jetzt einen Passagier mehr an Bord hatte, wußte nicht, was er sagen sollte. Maigret, der am Heck saß, tauchte die linke Hand ins Wasser, wie er es immer
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