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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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begann, auf die Menschheit loszulassen. Es waren zwei Bände: Maigret unter den Anarchisten und Maigret und der tote Herr Galtet.
    Diese beiden Bücher, ich verschweige es nicht, habe ich sofort gelesen. Und ich sehe Simenon am nächsten Morgen wieder in mein Büro kommen, ungeheuer selbstzufrieden, ja noch hemmungsloser als früher, sofern dies überhaupt möglich war, wenn auch mit einer Spur von Ängstlichkeit im Blick.
    »Ich weiß, was Sie mir jetzt sagen«, legte er los, noch während ich den Mund aufmachte.
    Und im Büro auf und ab gehend, fuhr er fort:
    »Es ist mir durchaus bewußt, daß es in diesen Büchern von technischen Ungenauigkeiten wimmelt. Sie aufzuzählen wäre sinnlos. Sie sollen aber wissen, daß sie gewollt sind, und ich will Ihnen erklären weshalb.«
    Die ganze Rede habe ich nicht mitbekommen, aber ich erinnere mich an den wichtigsten Satz, den er später oft mit einer an Sadismus grenzenden Befriedigung wiederholt hat:
    »Die Wahrheit wirkt nie wahr. Und ich meine jetzt nicht nur die Wahrheit in der Literatur oder in der Malerei. Ich will auch nicht das Beispiel der dorischen Säulen anführen, deren Linien wir als absolut senkrecht empfinden, wo sie doch nur diesen Eindruck erwecken, weil sie leicht gekrümmt sind. Denn wenn sie gerade wären, so wären sie in unseren Augen krumm, verstehen Sie?«
    Damals hausierte er noch gern mit seiner Bildung.
    »Erzählen Sie irgend jemandem irgendeine Geschichte. Wenn Sie sie nicht ausschmücken, wird jeder sie unglaublich, künstlich finden. Schmücken Sie sie aus, und sie tönt echter, als sie ist.«
    Diese letzten Worte schmetterte er hinaus, als hätte er eine ungeheure Entdeckung gemacht.
    »Etwas echter machen, als es ist, das ist das ganze Geheimnis. Sehen Sie, und deshalb habe ich Sie echter gemacht, als Sie sind.«
    Sprachlos saß ich da. Dem armen Kommissar, der ich war, dem Kommissar, der »unechter war, als ich war«, fiel keine Antwort ein.
    Er aber begann mir mit vielen Gebärden und einem leicht belgischen Akzent zu beweisen, daß meine Untersuchungen, wie er sie geschildert hatte, plausibler waren – vielleicht hat er sogar »exakter« gesagt – als wie ich sie in Wirklichkeit durchgeführt hatte.
    Schon bei unseren ersten Begegnungen im Spätherbst hatte es ihm nicht an Selbstvertrauen gemangelt. Jetzt, als erfolgreicher Autor, triefte er nur so davon; sämtlichen Angsthasen der Welt hätte er davon abgeben können.
    »Hören Sie mir gut zu, Kommissar …«
    Denn er hatte beschlossen, den ›Herrn‹ fallenzulassen.
    »Bei einer wirklichen Untersuchung sind es manchmal ihrer fünfzig, wenn nicht mehr, die gemeinsam nach dem Täter fahnden. Sie und Ihre Inspektoren verfolgen eine Spur nicht allein. Die Polizei, die Gendarmerie des ganzen Landes werden alarmiert. Man setzt sie an den Bahnhöfen ein, bei den abfahrenden Schiffen, an den Grenzen. Ganz zu schweigen von den Spitzeln und noch mehr von den Amateuren, die sich einschalten.
    Versuchen Sie jetzt, auf zweihundert oder zweihundertfünfzig Romanseiten ein einigermaßen getreues Bild dieses Gewimmels wiederzugeben! Eine ganze Saga wäre nicht lang genug, und der Leser wäre nach ein paar Kapiteln entmutigt; er würde alles durcheinanderbringen, alle Personen verwechseln.
    Wer ist nun aber derjenige, der dafür sorgt, daß kein solches Durcheinander entsteht? Wer schafft Ordnung jeden Morgen, indem er jedem seinen Platz zuweist und beharrlich den roten Faden verfolgt?«
    Er maß mich mit triumphierenden Blicken.
    »Sie sind es und Sie wissen es genau. Der Mann, der die Untersuchung leitet. Es ist auch mir nicht unbekannt, daß ein Kommissar von der Kriminalpolizei, ein Chef der Mordkommission nicht höchstpersönlich durch die Straßen läuft, um die Concierges und die Gastwirte zu verhören.
    Ich weiß auch, daß Sie, außer in Ausnahmefällen, Ihre Nächte nicht im Regen auf Straßenpatrouillen verbringen und warten, bis hinter diesem oder jenem Fenster ein Licht angezündet oder bis eine bestimmte Tür geöffnet wird.
    Und doch ist es genauso, als wären Sie selber dabei, nicht wahr?«
    Was konnte ich darauf antworten? Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen war es logisch.
    »Also, Vereinfachung! Die höchste, die wesentlichste Eigenschaft einer Wahrheit ist die Einfachheit. Deshalb habe ich die Dinge vereinfacht. Ich habe den Betrieb rings um Sie her auf den einfachsten Nenner reduziert, ohne daß dies auch nur das geringste am Ergebnis geändert hätte.
    Dort wo fünfzig

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