Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
nicht?«
»Sie kann ihn nicht ausstehen. Er hat mir einmal gesagt, daß er jedesmal, wenn sie sich zufällig begegnen, darauf gefaßt ist, daß sie ihm ins Gesicht spuckt.«
»Über Madame Gouin wissen Sie nichts weiter?«
»Nichts!« erwiderte sie trocken.
»Hat sie keinen Liebhaber?«
»Nicht daß ich wüßte. Außerdem geht es mich nichts an.«
»Glauben Sie, daß sie die Frau ist, die ruhig zusehen würde, wie man ihren Mann an ihrer Stelle verurteilt?«
Sie schwieg, und Maigret mußte lächeln.
»Geben Sie zu, daß es Ihnen nichts ausmachen würde, wenn wir entdeckten, daß sie es war, die Lulu ermordet hat.«
»Ich weiß nur das eine, daß es nicht der Professor war.«
»Hat er mit Ihnen über den Mord gesprochen?«
»Nicht am Dienstag morgen; da hatte er noch keine Ahnung davon. Am Nachmittag sagte er mir dann unter anderem, die Polizei werde ihn bestimmt anrufen und sprechen wollen.«
»Und seither?«
»Hat er es nicht mehr erwähnt.«
»Hat ihn Louises Tod nicht weiter berührt?«
»Wenn es ihm nahegegangen ist, so hat er sich jedenfalls nichts anmerken lassen. Er ist wie immer.«
»Das ist wohl alles, was Sie mir zu sagen haben? Hat er mit Ihnen jemals über Pierre Eyraud, den Musiker, gesprochen?«
»Nie.«
»Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, er könnte auf ihn eifersüchtig sein?«
»Er ist nicht der Mann, der auf irgend jemanden eifersüchtig sein könnte.«
»Ich danke Ihnen. Und verzeihen Sie, daß ich Sie vom Abendessen abgehalten habe. Wenn Ihnen noch irgend etwas einfallen sollte, das für uns interessant ist, rufen Sie mich bitte an.«
»Werden Sie den Professor aufsuchen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ist er heute abend zu Hause?«
»Es ist sein einziger freier Abend in dieser Woche.«
»Was wird er damit anfangen?«
»Er wird arbeiten, wie immer. Er muß die Fahnen seines neuen Buches korrigieren.«
Maigret schlüpfte seufzend in seinen Mantel.
»Sie sind ein seltsames Mädchen«, murmelte er, als spräche er zu sich selbst.
»Es ist nichts Seltsames an mir.«
»Guten Abend.«
»Guten Abend, Monsieur Maigret.«
Sie begleitete ihn bis auf den Flur hinaus und sah ihm nach, als er die Treppe hinunterging. Draußen wartete schon das schwarze Auto, und der Chauffeur öffnete ihm den Wagenschlag.
Er war nahe daran, sich in die Avenue Carnot fahren zu lassen. Früher oder später mußte er sich wohl zu einer Begegnung mit Gouin entschließen. Warum verschob er es immer wieder? Es war, als kreiste er ständig um ihn herum und wagte sich nicht an ihn heran, als flößte ihm die Persönlichkeit des Professors eine Art Scheu ein.
»Zum Quai!«
Etienne Gouin saß jetzt vermutlich mit seiner Frau beim Abendessen. Als sie an seinem Haus vorüberfuhren, sah Maigret, daß im linken Flügel der Wohnung kein Licht brannte.
Wenigstens in einem Punkt hatte sich die Assistentin geirrt. Im Gegensatz zu ihren Behauptungen waren die ehelichen Beziehungen der beiden weniger kühl, als sie dachte. Lucile Decaux behauptete auch, der Professor spreche mit seiner Frau nie über seine Angelegenheiten. Und doch hatte Madame Gouin dem Kommissar Einzelheiten mitgeteilt, die sie nur von ihrem Mann erfahren haben konnte. Hatte er ihr auch erzählt, daß er glaubte, Lulu sei schwanger?
Maigret ließ den Wagen weiter oben in der Avenue halten, vor einer Kneipe, in der er schon einmal einen Grog getrunken hatte. Heute abend war es jedoch weniger kalt als damals, und er bestellte einen Marc, obwohl es eigentlich nicht die richtige Tageszeit dafür war. Er bestellte ihn nur, weil er gestern dasselbe getrunken hatte. Seine Kollegen vom Quai des Orfèvres hänselten ihn wegen dieser Manie. Wenn er zum Beispiel am Anfang einer Untersuchung Calvados trank, dann machte er mit Calvados weiter. So hatte es schon Bier-, Rotwein- und sogar Whiskyuntersuchungen gegeben.
Er wollte im Büro anrufen, um sich zu erkundigen, ob es nichts Neues gab, und sich dann direkt nach Hause fahren lassen. Und nur weil die Telefonzelle besetzt war, änderte er seinen Plan.
Unterwegs sprach er kein Wort.
»Brauchen Sie mich noch?« fragte der Chauffeur, als sie im Hof des Polizeipräsidiums hielten.
»Du könntest mich in ein paar Minuten zum Boulevard Richard Lenoir fahren – es sei denn, deine Arbeitszeit sei um.«
»Ich mache erst um acht Uhr Schluß.«
Er ging hinauf und knipste das Licht in seinem Büro an. Sofort öffnete sich die Verbindungstür, und Lucas kam herein.
»Inspektor Janin hat angerufen. Er ist
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