Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht
sehr gut hätte gehen können.«
»Was haben Sie in dem Restaurant gemacht?«
»Die Gäste bedient.«
»Und Ihr Mann?«
»Er hat gekocht, eine alte Frau hat ihm dabei geholfen.«
»Hatte er eine Ahnung vom Kochen?«
»Er hatte ein Kochbuch.«
»Haben Sie die Gäste allein bedient?«
»Am Anfang hatten wir noch eine junge Kellnerin.«
»Hat Léontine Faverges, als das Geschäft nicht mehr lief, die Schulden bei den Gläubigern beglichen?«
»Ich nehme es an. Ich glaube allerdings, dass wir immer noch Schulden haben.«
»Wirkte Ihr Mann in den letzten Februartagen besorgt?«
»Er machte sich dauernd Sorgen.«
»Hat er Ihnen etwas von einem Wechsel gesagt, der am achtundzwanzigsten fällig war?«
»Davon habe ich nichts mitbekommen. Wir hatten jeden Monat Wechsel zu bezahlen.«
»Hat Ihr Mann Ihnen nicht mitgeteilt, dass er zu seiner Tante wollte, um wieder einmal um Hilfe zu bitten?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Hätten Sie sich nicht darüber gewundert?«
»Nein. An so etwas war ich gewöhnt.«
»Haben Sie, nachdem das Restaurant geschlossen werden musste, Ihrem Mann vorgeschlagen, sich eine andere Arbeit zu suchen?«
»Das habe ich andauernd vorgeschlagen. Aber Gaston wollte nicht.«
»Warum nicht?«
»Vielleicht, weil er eifersüchtig war.«
»Hat er Ihnen Eifersuchtsszenen gemacht?«
»Nein.«
»Wenden Sie sich bitte den Herren Geschworenen zu.«
»Ja, natürlich. Entschuldigung.«
»Worauf gründen Sie Ihre Behauptung, dass Ihr Mann eifersüchtig war?«
»Erstens wollte er nicht, dass ich arbeite. Und dann kam er in der Rue du Chemin-Vert andauernd aus der Küche gerannt, um mir nachzuspionieren.«
»Ist er Ihnen manchmal heimlich nachgegangen?«
Pierre Duché, der einfach nicht verstehen konnte, worauf Bernerie hinauswollte, rutschte auf seiner Bank nervös hin und her.
»Davon habe ich nichts gemerkt.«
»Hat er Sie abends gefragt, was Sie tagsüber gemacht haben?«
»Ja.«
»Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Dass ich im Kino war.«
»Sind Sie sicher, dass Sie mit niemandem über die Rue Manuel und Léontine Faverges gesprochen haben?«
»Nur mit meinem Mann.«
»Nicht mit einer Freundin?«
»Ich habe keine Freundinnen.«
»Mit welchen Menschen hatten Ihr Mann und Sie Kontakt?«
»Mit niemandem.«
Wenn diese Fragen sie aus der Fassung brachten, dann ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.
»Erinnern Sie sich, welchen Anzug Ihr Mann am siebenundzwanzigsten beim Mittagessen anhatte?«
»Seinen grauen Anzug. Das war sein Wochentagsanzug. Den anderen hat er nur am Samstagabend angezogen, wenn wir ausgegangen sind, und sonntags.«
»Und wenn er seine Tante besucht hat?«
»Ich glaube, dann hat er manchmal seinen blauen Anzug getragen.«
»Ist das an dem besagten Tag auch der Fall gewesen?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich war nicht zu Hause.«
»Sie wissen also nicht, ob er im Laufe des Nachmittags in die Wohnung zurückgekommen ist?«
»Woher sollte ich das wissen? Ich war im Kino.«
»Ich danke Ihnen.«
Sie blieb verblüfft stehen, sie konnte nicht glauben, dass das schon alles war, dass man ihr nicht die Fragen stellte, die jeder erwartete.
»Sie können wieder Platz nehmen.«
Und Bernerie fuhr fort:
»Rufen Sie Nicolas Cajou.«
Enttäuschung machte sich breit. Das Publikum hatte den Eindruck, dass hier etwas nicht stimmte, dass man ihm eine Szene vorenthielt, auf die es ein Anrecht hatte. Ginette Meurant setzte sich fast widerwillig hin, und ein in Maigrets Nähe stehender Anwalt flüsterte seinem Kollegen ins Ohr:
»Lamblin hat sie sich während der Pause im Flur vorgenommen …«
Über Rechtsanwalt Lamblin, der wie ein hungriger Hund aussah, wurde viel im Palais de Justice geredet, allerdings wenig Gutes, und bereits mehrmals hatte deshalb seine Zulassung auf dem Spiel gestanden.
Wie durch Zufall saß er jetzt plötzlich neben der jungen Frau und sprach leise zu ihr, als wollte er sie beglückwünschen.
Der Mann, der hinkend auf den Zeugenstand zuging, war ein ganz anderer Menschenschlag. Wenn Ginette Meurant unter ihrer Schminke so blass wie eine Treibhauspflanze wirkte, dann sah er nicht nur bleich aus, sondern auch noch schlaff und ungesund.
War er infolge seiner Operation so abgemagert? Jedenfalls schlotterten ihm seine viel zu weiten Kleidungsstücke am Körper, der jegliche Spannkraft und Geschmeidigkeit verloren hatte.
Man konnte sich ihn besser in Pantoffeln vorstellen, wie er im Büro seines Hotels hinter stumpfen Glasscheiben hockte,
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