Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht

Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht

Titel: Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
als aufrecht auf den Straßen der Stadt.
    Er hatte dicke Tränensäcke unter den Augen, und die Haut unter dem Kinn hing herab.
    »Sie heißen Nicolas Cajou, sind zweiundsechzig Jahre alt, in Marillac im Cantal geboren, von Beruf Hotelier in Paris, in der Rue Victor-Massé?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Sie sind mit dem Angeklagten weder verwandt noch verschwägert? … Sie schwören, die Wahrheit zu sagen, die volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit … Heben Sie die rechte Hand … Sagen Sie: ›Ich schwöre es …‹«
    »Ich schwöre es.«
    Ein Beisitzer beugte sich zu Bernerie hinüber, um ihm eine Beobachtung mitzuteilen, die sachdienlich sein musste, denn Bernerie schien betroffen, überlegte eine Weile und zuckte schließlich die Achseln. Maigret, der die Szene genau verfolgt hatte, glaubte, verstanden zu haben.
    Zeugen, über die eine Ehrenstrafe verhängt worden ist oder die eine unmoralische Tätigkeit ausüben, dürfen keinen Eid leisten. Und übte der Inhaber eines Stundenhotels nicht einen unmoralischen Beruf aus, indem er Zimmer an Paare vermietete und damit gegen das Gesetz verstieß? Stand wirklich einwandfrei fest, dass sein Strafregister keinerlei Verurteilung aufwies?
    Für eine Überprüfung war es jetzt zu spät, und Bernerie hüstelte, bevor er Cajou in gleichgültigem Ton fragte:
    »Führen Sie regelmäßig eine Liste der Gäste, an die Sie Zimmer vermieten?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Aller Gäste?«
    »Von allen, die die Nacht in meinem Hotel verbringen.«
    »Aber Sie notieren nicht die Namen der Gäste, die sich nur tagsüber dort aufhalten?«
    »Nein, Herr Vorsitzender. Die Polizei wird Ihnen sagen können, dass …«
    Dass ihm nichts anzuhaben war, natürlich, dass es in seinem Etablissement nie einen Skandal gab und dass er gelegentlich der Fremdenpolizei oder den Inspektoren vom Sittendezernat die Tipps lieferte, die sie brauchten.
    »Haben Sie die Zeugin eben aufmerksam angesehen, die vor Ihnen vor Gericht ausgesagt hat?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Haben Sie sie wiedererkannt?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Sagen Sie den Herren Geschworenen, in welchem Zusammenhang Sie diese junge Frau vorher gesehen haben.«
    »Das Übliche.«
    Ein Blick von Bernerie brachte das Gelächter im Saal augenblicklich zum Verstummen.
    »Das heißt?«
    »Das heißt, dass sie öfter nachmittags in Begleitung eines Herrn gekommen ist, der ein Zimmer gemietet hat.«
    »Was verstehen Sie unter ›öfter‹?«
    »Mehrmals in der Woche.«
    »Wie oft ungefähr?«
    »Drei- oder viermal.«
    »War ihr Begleiter immer derselbe?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Würden Sie ihn wiedererkennen?«
    »Bestimmt.«
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Am Tag, bevor ich ins Krankenhaus kam, also am fünfundzwanzigsten Februar. Wegen meiner Operation erinnere ich mich genau an das Datum.«
    »Beschreiben Sie ihn, bitte.«
    »Nicht groß … Eher klein … Ich vermute, dass er Schuhe mit dicken Absätzen trug, wie das gewisse Leute tun, die unter ihrer geringen Körpergröße leiden … Immer sehr gut gekleidet, gewissermaßen wie aus dem Ei gepellt … In diesem Viertel kennen wir diese Typen. Deswegen habe ich mich auch gewundert …«
    »Worüber?«
    »Diese Männer verbringen normalerweise nicht die Nachmittage im Hotel, schon gar nicht mit derselben Frau …«
    »Ich nehme an, Sie kennen sich in der Fauna vom Montmartre mehr oder weniger gut aus?«
    »Wie, bitte?«
    »Ich meine die Männer, von denen Sie sprechen …«
    »Ich sehe sie vorbeilaufen.«
    »Trotzdem haben Sie diesen Mann nie woanders als in Ihrem Hotel gesehen?«
    »So ist es, Herr Vorsitzender.«
    »Sie haben auch nichts über ihn gehört?«
    »Ich weiß nur, dass man ihn Pierrot nennt.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil die Dame, die ihn begleitet hat, ihn manchmal in meiner Gegenwart so genannt hat.«
    »Hatte er einen Akzent?«
    »Nicht wirklich. Trotzdem hatte ich immer den Eindruck, dass er aus Südfrankreich oder aus Korsika stammt.«
    »Ich danke Ihnen.«
    Wieder zeigte sich Enttäuschung auf den Gesichtern. Man hatte eine dramatische Gegenüberstellung erwartet, aber es war nichts geschehen als ein offenkundig harmloser Abtausch von Fragen und Antworten.
    Bernerie warf einen Blick auf die Uhr.
    »Die Sitzung wird bis halb drei unterbrochen.«
    Das gleiche lärmende Durcheinander wie vorhin, allerdings mit dem Unterschied, dass sich diesmal der ganze Saal leerte und dass man ein Spalier bildete, um Ginette Meurant

Weitere Kostenlose Bücher