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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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allem aber wegen meiner Dienstmarke.«
    »Warum haben Sie ausgerechnet an der Ecke angehalten, wo die Rue Saint-Charles abgeht?«
    »Weil das ganz in der Nähe von hier ist und auf unserem Weg lag.«
    »Haben Sie keinen Bericht erhalten?«
    »Was für einen Bericht?«
    »Ist in der Rue Saint-Charles nichts vorgefallen?«
    Maigret hatte alle Mühe, die Nuancen im ständig wechselnden Mienenspiel des jungen Mannes zu registrieren. Selten hatte er einen so verängstigten, gequälten Menschen gesehen, der sich geradezu verbissen an Gott weiß was für einen Strohhalm klammerte.
    Er hatte Angst, das war eindeutig! Aber wovor?
    »Hat das Kommissariat Sie nicht benachrichtigt?«
    »Nein.«
    »Können Sie das beschwören?«
    »Das tue ich nur vor einem Schwurgericht.«
    Der andere schien ihn mit seinen Blicken förmlich durchlöchern zu wollen.
    »Warum habe ich Sie Ihrer Meinung nach wohl hierhergebeten?«
    »Weil Sie mich brauchen.«
    »Und warum brauche ich Sie denn?«
    »Sie haben sich in eine schlimme Sache hineingeritten und wissen nicht, wie Sie da wieder rauskommen.«
    »Das ist nicht wahr!«, widersprach er scharf.
    Doch dann hob der Unbekannte den Kopf, als sei eine Last von ihm abgefallen.
    »Nicht ich habe mich in diese schlimme Lage gebracht, das schwöre ich, Schwurgericht hin oder her. Ich bin unschuldig, lassen Sie sich das gesagt sein!«
    »Nicht so laut!«
    Er blickte sich um. Eine junge Frau schminkte sich die Lippen, schaute dabei in den Spiegel, dann wandte sie sich um und sah zum Gehsteig hinüber, wohl in der Hoffnung, dass derjenige, mit dem sie verabredet war, endlich auftauchen würde. Zwei Herren mittleren Alters steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Aus den wenigen Satzfetzen, die Maigret aufschnappte, entnahm er, dass es um Pferderennen ging.
    »Sagen Sie mir jetzt lieber, wer Sie sind und in welcher Sache Sie unschuldig sein wollen …«
    »Nicht hier. Gleich …«
    »Wo?«
    »Bei mir zu Hause. Kann ich noch ein Bier haben? Ich werde Ihnen das Geld zurückerstatten, es sei denn …«
    »Es sei denn was?«
    »Dass ihre Handtasche … Na ja … Noch ein Bier?«
    »Garçon! Zwei Bier … Und dann möchte ich bitte zahlen.«
    Der junge Mann wischte sich mit einem recht sauberen Taschentuch den Schweiß vom Gesicht.
    »Vierundzwanzig sind Sie, stimmt’s?«, fragte der Kommissar.
    »Fünfundzwanzig.«
    »Sind Sie schon lange in Paris?«
    »Ja.«
    »Verheiratet?«
    Maigret vermied es, allzu persönliche Fragen zu stellen.
    »Ja, ich war verheiratet. Warum wollen Sie das wissen?«
    »Sie tragen keinen Ehering.«
    »Als ich geheiratet habe, konnte ich mir keinen leisten.«
    Er zündete sich eine zweite Zigarette an. Bei der ersten hatte er den Rauch in tiefen Zügen inhaliert, jetzt erst genoss er das Tabakaroma.
    »Im Grunde sind alle meine Vorsichtsmaßnahmen nutzlos.«
    »Welche Vorsichtsmaßnahmen?«
    »Ihnen gegenüber. Sie haben mich ja sowieso längst, egal, was ich jetzt unternehme. Selbst wenn ich versuchen würde, Ihnen zu entwischen. Inzwischen haben Sie mich ja gesehen und wissen, dass ich in diesem Viertel wohne, also …«
    Er verzog den Mund zu einem bitteren, selbstironischen Lächeln.
    »Ich tue immer zu viel des Guten. Wartet Ihr Inspektor noch im Auto an der Ecke?«
    Maigret sah auf die Uhr an der Wand. Sie zeigte drei Minuten vor zwölf.
    »Entweder ist er schon losgefahren oder er wird dies in allernächster Zeit tun. Ich habe ihm gesagt, er soll eine halbe Stunde warten, und wenn ich bis dahin nicht zurück bin, zum Essen gehen.«
    »Das spielt jetzt keine Rolle mehr, oder?«
    Maigret gab keine Antwort. Der junge Mann wandte sich zum Gehen, und der Kommissar folgte ihm. Sie gingen zur Rue Saint-Charles, an deren Ecke ein ziemlich neues, modernes Mietshaus aufragte. Sie überquerten die Straße auf einem Zebrastreifen und gingen weiter.
    Nach etwa dreißig Metern blieb der junge Mann plötzlich mitten auf dem Gehsteig stehen. Ein offenes Tor führte in den Hof des großen Gebäudes, dessen Haupteingang sich am Boulevard de Grenelle befand. Unter einem Mauervorsprung standen Mofas und Kinderwagen.
    »Wohnen Sie hier?«
    »Hören Sie, Herr Kommissar …«
    Er war noch bleicher, noch unruhiger als vorher.
    »Haben Sie schon einmal jemandem Ihr Vertrauen geschenkt, auch wenn alle Indizien gegen ihn sprachen?«
    »Das ist auch schon vorgekommen!«
    »Welchen Eindruck haben Sie von mir?«
    »Sie scheinen ein ziemlich komplizierter Mensch zu sein, aber ich weiß nicht

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