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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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genug von Ihnen, um ein Urteil fällen zu können.«
    »Werden Sie denn ein Urteil über mich fällen?«
    »So war es nicht gemeint. Sagen wir lieber, um mir ein Bild zu machen.«
    »Sehe ich wie ein Schuft aus?«
    »Das ganz gewiss nicht.«
    »Oder wie ein Mensch, der fähig wäre, einen … Nein … Kommen Sie … Ich muss die Sache schnell hinter mich bringen.«
    Er ging vor ihm her in den Hof, wandte sich dann zum linken Flügel des Gebäudekomplexes, dessen Erdgeschoss eine ganze Reihe von Türen aufwies.
    »Das hier sind die Einzimmerappartements«, murmelte er und fischte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche.
    »Sie werden vermutlich darauf bestehen, dass ich als Erster reingehe … Das werde ich auch, und wenn es mich noch so viel Überwindung kostet … Auch auf die Gefahr hin, dass ich umkippe …«
    Er stieß die lackierte Eichentür auf. Sie gelangten in eine winzige Diele. Durch die offenstehende Tür rechterhand sah man ins Badezimmer mit einer Sitzbadewanne. Es war nicht aufgeräumt. Wäschestücke lagen auf dem Boden verstreut.
    »Machen Sie doch bitte auf!«
    Der junge Mann zeigte auf eine geschlossene Tür, die sich gegenüber dem Eingang befand. Der Kommissar öffnete die Tür.
    Der junge Mann wich nicht von seiner Seite. Ein widerlicher Geruch schlug ihnen entgegen, obwohl das Fenster offen stand.
    Neben einem für die Nacht aufgeklappten Schlafsofa lag eine Frau auf einem buntgemusterten marokkanischen Teppich. Blaue Fliegen summten um die Leiche.

2
    »Haben Sie ein Telefon?« Die Frage war vollkommen überflüssig und kam dem Kommissar ganz automatisch über die Lippen, denn er hatte sehr wohl den Apparat gesehen, der mitten im Zimmer auf dem Fußboden stand, einen Meter von der Toten entfernt.
    »Ich flehe Sie an …«, flüsterte der junge Mann ihm zu und klammerte sich an den Türrahmen.
    Er sah aus wie ein Häufchen Elend. Maigret war es auch lieber, den Raum schleunigst wieder zu verlassen, denn der Leichengeruch war unerträglich.
    Er manövrierte seinen Begleiter hinaus und schloss die Tür hinter sich ab. Er brauchte einen Moment, bis er wieder in der Wirklichkeit angekommen war.
    Kinder kamen von der Schule nach Hause, ließen ihre Schulranzen baumeln und verschwanden in den verschiedenen Wohnungen. Die meisten Fenster des großen Mietshauses standen offen. Ein wirres Durcheinander von Radiosendungen, Stimmen, Musik, Rufen von Frauen, die ihren Männern und Söhnen galten, drang an ihr Ohr. Auf einem Fensterbrett im ersten Stock hüpfte ein Kanarienvogel in seinem Käfig herum, anderswo hing Wäsche zum Trocknen.
    »Müssen Sie sich übergeben?«
    Der junge Mann schüttelte den Kopf, wagte es aber noch nicht, den Mund aufzumachen. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, und er presste die Hände gegen seine Brust. Das krampfartige Zucken der Finger, das nicht zu beherrschende Zittern seiner Lippen ließen einen Nervenzusammenbruch befürchten.
    »Nur mit der Ruhe. Versuchen Sie nicht, zu sprechen … Sollen wir im Café an der Ecke etwas trinken gehen?«
    Erneutes Kopfschütteln.
    »Ich nehme an, es ist Ihre Frau, oder?«
    Die Antwort war an seinen Augen abzulesen. Endlich öffnete er den Mund, um ein wenig Luft zu holen, was ihm aber erst nach einer Weile glückte, so sehr lagen ihm die Nerven blank.
    »Waren Sie dabei, als es passiert ist?«
    »Nein …«
    Immerhin hatte er schon dieses eine Wörtchen hervorgebracht.
    »Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
    »Vorgestern … Am Mittwoch.«
    »Morgens … oder abends?«
    »Spätabends …«
    Ohne auf ihre Umgebung zu achten, gingen sie in dem großen Hof auf und ab, während ringsumher die Menschen in ihren Wohnzellen ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgingen. Die meisten setzten sich gerade zu Tisch oder bereiteten noch schnell das Essen zu. Einzelne Satzfetzen waren zu verstehen:
    »Hast du dir die Hände gewaschen?«
    »Vorsicht! Verbrenn dich nicht!«
    Immer wieder zogen Küchengerüche durch die Frühlingsluft. Es roch vor allem nach Lauchsuppe.
    »Wissen Sie, wie sie gestorben ist?«
    Der junge Mann konnte nur nicken, denn schon wieder bekam er keine Luft mehr.
    »Als ich nach Hause gekommen bin …«
    »Eins nach dem anderen. Sie haben also die Wohnung am Mittwoch, und zwar spätabends, verlassen … Nicht stehen bleiben. Das tut Ihnen nicht gut … Um wie viel Uhr war das ungefähr?«
    »Gegen elf.«
    »Hat Ihre Frau zu diesem Zeitpunkt noch gelebt? War sie im Morgenmantel, als Sie die Wohnung verlassen

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