Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
Maigret?«
»Noch nicht, Herr Richter … Jedenfalls nichts Konkretes …«
»Sie scheinen nicht daran zu glauben, dass dieser Matrose … Wie heißt er gleich? … Demarle …«
»Ich bin fest überzeugt, dass er ein professioneller Bilderdieb ist, aber mit dem Mord in der Rue Popincourt hat er nicht das Geringste zu tun.«
»Haben Sie bestimmte Vermutungen?«
»Es zeichnen sich einige ab. Sie sind zu vage, als dass ich sie darlegen könnte, aber ich rechne in Kürze mit neuen Entwicklungen …«
»Eifersucht?«
»Ich glaube nicht …«
»Niedrige Beweggründe?«
Er hasste diese Klassifizierungen.
»Ich weiß noch nicht …«
Es dauerte nicht lange, bis sich Neues ergab. Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Der Nachrichtenchef einer Abendzeitung war am Apparat.
»Spreche ich mit Kommissar Maigret? Hier Jean Rolland. Störe ich gerade? Keine Angst, ich rufe nicht an, um von Ihnen irgendwelche Informationen zu bekommen, selbst wenn solche immer willkommen sind …«
Maigrets Verhältnis zum Chefredakteur dieser Zeitung war nicht das beste, weil dieser sich gern darüber beklagte, nicht als Erster über wichtige Kriminalfälle informiert zu werden, und das Argument anführte:
»Unsere Auflage ist so hoch wie die von drei andern Blättern zusammen. Da wäre es doch nur normal, wenn …«
Es war kein offener Konflikt, aber man spielte ein wenig den Beleidigten. Vermutlich rief deshalb jetzt nur der Nachrichtenchef anstelle des Chefredakteurs an.
»Haben Sie unsere gestrigen Artikel gelesen?«
»Ich habe sie überflogen …«
»Wir haben eine mögliche Verquickung der beiden Fälle untersucht. Wir sind schließlich zum Ergebnis gekommen, dass ebenso viele Argumente dafür wie dagegen sprechen.«
»Ich weiß …«
»Dieser Artikel hat uns nun eine Leserzuschrift in der Morgenpost eingebracht, die ich Ihnen vorlesen möchte …«
»Moment mal. Steht die Adresse in Großbuchstaben?«
»Richtig … Der Brief auch …«
»Und er ist auf gewöhnliches Briefpapier geschrieben, wie man es im Sechserpack im Laden um die Ecke bekommt …«
»Auch das stimmt … Haben Sie ebenfalls einen Brief erhalten?«
»Nein. Aber lesen Sie vor.«
»Gut, es geht los:
Sehr geehrter Herr Direktor,
Mit großem Interesse habe ich die Artikel gelesen, die Ihr geschätztes Blatt in den letzten Tagen zum Mordfall in der Rue Popincourt und zur Serie von Bilderdiebstählen veröffentlicht hat. Der Verfasser versucht – übrigens vergebens – die beiden Fälle in Zusammenhang zu bringen.
Ich finde es naiv, dass die Presse einfach davon ausgeht, Batille sei wegen eines Tonbandes in der Rue Popincourt angegriffen worden. Hat denn der Mörder das Gerät mitgenommen?
Was den Matrosen Demarle betrifft: Er hat mit seinem Klappmesser nie einen Menschen umgebracht.
Solche Messer kann man in jeder guten Eisenwarenhandlung kaufen, und ich besitze ebenfalls eines.
Nur hat mein Messer wirklich Antoine Batille getötet. Ich brüste mich nicht damit, glauben Sie mir. Ich bin nicht stolz darauf. Im Gegenteil. Aber ich habe diesen Rummel satt.
Und vor allem möchte ich nicht, dass ein Unschuldiger wie Demarle für mich büßt.
Sie können diesen Brief veröffentlichen, wenn Sie es für angebracht halten. Ich versichere Ihnen, dass er die reine Wahrheit enthält.
Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen.
Unterschrieben hat er natürlich nicht … Was meinen Sie, Herr Kommissar, ob das ein Scherz sein soll?«
»Nein.«
»Ist es also ernst?«
»Ich bin davon überzeugt … Ich kann mich natürlich täuschen, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Mörder diesen Brief geschrieben hat. Sehen Sie bitte mal nach, an welchem Postamt er aufgegeben wurde.«
»Boulevard Saint-Michel.«
»Sie können ihn fotografieren lassen, falls Sie beabsichtigen, ihn im Faksimile zu veröffentlichen, aber es wäre mir lieb, wenn er durch möglichst wenig Hände ginge.«
»Rechnen Sie mit Fingerabdrücken?«
»Ich bin so gut wie sicher, dass ich welche finde.«
»Waren auch Fingerabdrücke auf dem Zeitungsausschnitt, auf den jemand ein großes, grünes Nein geschrieben hat?«
»Ja.«
»Ich habe Ihren Aufruf gelesen. Haben Sie Hoffnung, dass der Mörder Sie anruft?«
»Wenn er so ein Mensch ist, wie ich ihn mir vorstelle, wird er es tun.«
»Wahrscheinlich brauche ich Sie gar nicht zu fragen, was für einen Menschen Sie sich da vorstellen …«
»Im Augenblick kann ich Ihnen dazu tatsächlich nichts sagen … Ich
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