Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
Chefmaschinist?«
»Nein.«
»Also nur Sie beide! War es wirklich Angst, Le Clinche?«
»Ich weiß es nicht. Lassen Sie mich, bitte!«
»Adèle war in der Kabine. Drei Männer schlichen um sie herum. Aber der Kapitän wollte seinem Verlangen nicht nachgeben und redete tagelang kein Wort mit seiner Geliebten. Sie beobachteten sie durch das Bullauge, aber nach Ihrem ersten Zusammensein rührten Sie sie nicht mehr an.«
»Schweigen Sie!«
»Die Männer in den Maschinenräumen und die Decksposten sprachen vom bösen Blick. Und es kam immer schlimmer. Falsche Manöver, Unfälle. Ein Schiffsjunge ins Meer gespült, zwei Männer verletzt, verdorbener Kabeljau und eine mißlungene Einfahrt in den Hafen …«
Sie kamen an die Biegung des Kais und sahen den Strand vor sich mit seiner gepflegten Promenade, seinen Hotels, seinen Strandhäuschen und den bunten Liegestühlen.
An einem sonnigen Fleckchen konnte man Madame Maigret in einem Liegestuhl erkennen, und neben ihr Marie Léonnec, die einen weißen Hut trug.
Le Clinche folgte Maigrets Blick und blieb plötzlich stehen. Seine Stirn wurde feucht.
Doch der Kommissar fuhr fort:
»Die Frau alleine war nicht der Grund … Kommen Sie … Ihre Braut hat Sie entdeckt.«
Es stimmte. Sie erhob sich. Einen Augenblick rührte sie sich nicht vom Fleck, stand wie erstarrt vor Aufregung. Aber dann kam sie über den Strand gelaufen. Madame Maigret packte währenddessen ihr Nähzeug weg und wartete auf sie.
7.
Familienleben
Es war eine jener Situationen, die ganz von selbst entstehen und denen man sich nur schwer entziehen kann. Marie Léonnec, von einem gemeinsamen Freund unter die Obhut der Maigrets gestellt, nahm, da sie allein in Fécamp war, ihre Mahlzeiten mit ihnen ein.
Doch nun war ihr Verlobter da. Alle vier waren noch am Strand, als die Glocke des Hotels zum Mittagessen rief.
Pierre Le Clinche zögerte und schaute die anderen verlegen an.
»Gehen wir! Wir lassen ein zusätzliches Gedeck auflegen«, sagte Maigret.
Er faßte seine Frau unter und sie überquerten die Promenade. Das junge Paar folgte ziemlich einsilbig. Ab und zu sprach Marie leise, aber entschieden auf ihn ein.
»Weißt du, was sie ihm sagt?« fragte der Kommissar seine Frau.
»Ja. Sie hat es mir heute vormittag zehnmal wiederholt, um zu hören, ob es gut ist. Sie versichert ihm, daß sie ihm in keinem Falle böse ist, was auch geschehen sein mag. Verstehst du? Sie erwähnt die Frau nicht. Sie tut, als wüßte sie nichts davon. Aber sie hat mir versichert, sie würde dennoch die Worte was auch geschehen sein mag besonders betonen … Arme Kleine. Sie würde ihm bis ans Ende der Welt folgen.«
»Ja, leider«, seufzte Maigret.
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts. Ist das unser Tisch?«
Das Mittagessen verlief ruhig, zu ruhig. Die Tische waren dicht aneinandergereiht, so daß es kaum möglich war, laut zu sprechen.
Maigret vermied es, Le Clinche anzusehen, um ihn nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Aber das Verhalten des Funkers beunruhigte ihn nichtsdestoweniger, und auch Marie Léonnec sah besorgt und niedergeschlagen drein.
Der junge Mann machte ein finsteres, bedrücktes Gesicht. Er aß, er trank, er beantwortete Fragen. Aber er war mit seinen Gedanken weit weg. Und ein paarmal, als er Schritte hinter sich hörte, zuckte er zusammen, als fürchtete er eine Gefahr.
Die großen Fenster des Speisesaals standen weit offen, und man sah hinaus aufs Meer, das in der Sonne glitzerte. Es war heiß. Le Clinche saß mit dem Rücken zu den Fenstern, doch ab und zu wandte er sich in einer plötzlichen, nervösen Bewegung um und betrachtete nachdenklich den Horizont.
Es war Madame Maigret, die die Unterhaltung bestritt, wobei sie sich vor allem an das Mädchen wandte und mit ihr über irgendwelche Nichtigkeiten sprach, nur um kein drückendes Schweigen aufkommen zu lassen.
Eigentlich war alles sehr friedlich. Die familiäre Atmosphäre des Hotels. Beruhigendes Tellerklappern und Gläserklirren. Eine halbe Flasche Bordeaux und eine Flasche Mineralwasser auf dem Tisch.
Der Geschäftsführer deutete übrigens die Situation falsch, kam, als das Dessert serviert wurde, an den Tisch und fragte:
»Soll ich für Monsieur ein Zimmer richten lassen?«
Dabei schaute er Le Clinche an. Er ahnte, daß er der Bräutigam war und hielt die Maigrets wahrscheinlich für die Eltern des Mädchens.
Zwei- oder dreimal strich sich der Funker mit einer müden Bewegung der Hand flüchtig über die Stirn, wie er
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