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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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erzählt?«
    Während sie weiter den Kai entlanggingen, zog Maigret das kleine Foto aus der Tasche und zeigte es Gérard.
    »Na sowas! Wenn ich geahnt hätte, daß das immer noch existiert!«
    Er wollte es nehmen, aber der Kommissar steckte es in seine Brieftasche zurück.
    »Hat sie es Ihnen …? Nein, das ist unmöglich. Dazu ist sie zu stolz – jedenfalls jetzt!«
    Während dieses ganzen Gesprächs hatte Maigret nicht aufgehört, seinen Begleiter zu beobachten. War auch er tuberkulös wie seine Schwester und allem Anschein nach auch das Kind von Joseph? Das war nicht sicher. Aber er hatte diese verführerische Art mancher Lungenkranker: feine Züge, eine durchschimmernde Haut, Lippen, die sinnlich und spöttisch zugleich w a ren.
    Seine Eleganz war die eines kleinen Angestellten, und er hatte es sich nicht nehmen lassen, einen Trauerflor an seinen beigefarbenen Mantel zu heften.
    »Haben Sie ihr den Hof gemacht?«
    »Das ist eine alte Geschichte, aus der Zeit, als meine Schwester das Kind noch nicht hatte. Das ist mindestens vier Jahre her.«
    »Erzählen Sie weiter …«
    »Da kommt mein Vater und will sich wohl ein bißchen die Beine vertreten …«
    »Erzählen Sie trotzdem weiter.«
    »Es war an einem Sonntag. Germaine hatte sich mit Joseph Peeters verabredet, einen Ausflug zu den Grotten von Rochefort zu machen. Im letzten Moment baten sie mich mitzugehen, weil eine von Josephs Schwestern auch mitwollte. Die Grotten sind fünfundzwanzig Kilometer von hier entfernt. Wir haben auf einer Wiese gepicknickt. Ich war sehr ausgelassen. Anschließend haben sich die beiden Pärchen getrennt und sind im Wald spazieren gegangen …«
    Maigrets Blick ruhte immer noch auf ihm, ohne etwas von seinen Gedanken zu verraten.
    »Und dann?«
    »Was und dann? Nun ja …«
    Gérard lächelte überheblich und boshaft.
    »Ich könnte Ihnen heute nicht einmal mehr sagen, wie es dazu gekommen ist. Ich bin es nicht gewohnt, lange herum zufackeln. Sie hatte nicht damit gerechnet, und so …«
    Maigret legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte langsam:
    »Ist das wahr?«
    Und er begriff, daß Gérard die Wahrheit sagte. Anna war damals einundzwanzig …
    »Und danach?«
    »Nichts! Sie ist zu häßlich … Auf der Rückfahrt sah sie mir die ganze Zeit starr in die Augen, und ich verstand, daß es am besten war, sie fallenzulassen.«
    »Hat sie nicht versucht …?«
    »Kein bißchen. Und ich habe mich bemüht, ihr aus dem Weg zu gehen. Sie hat gemerkt, daß es keinen Zweck hatte, etwas erzwingen zu wollen. Nur, wenn wir uns auf der Straße begegnen, dann habe ich jedesmal den Eindruck, als wären ihre Augen Revolver …«
    Sie gingen auf Vater Piedbœuf zu, der die beiden ohne Hemdkragen und in Filzpantoffeln erwartete.
    »Man hat mir gesagt, daß Sie heute morgen hier waren. Bitte kommen Sie herein. Hast du dem Kommissar schon alles erzählt, Gérard?«
    Maigret zwängte sich in das enge Treppenhaus, dessen Stufen aus ungestrichenem Holz nicht sehr stabil aussahen. Ein und derselbe Raum diente als Küche, Eßzimmer und Wohnzimmer. Er wirkte ärmlich und häßlich. Auf dem Tisch lag ein blaugemustertes Wachstuch.
    »Wer kann sie bloß umgebracht haben?« begann Piedbœuf unvermittelt. Man merkte ihm an, daß er nicht allzu intelligent war. »Sie ist an dem Abend hingegangen, weil sie ihre Monatszahlung noch nicht bekommen hatte, wie sie mir gesagt hat, und auch weil J o seph nichts von sich hören ließ.«
    »Ihre Monatszahlung?«
    »Ja! Er zahlte jeden Monat hundert Francs Unterhalt für das Kind. Das ist ja wohl auch das mindeste, und …«
    Gérard, der merkte, daß sein Vater wieder mit längst bekannten Klageliedern anfangen wollte, unterbrach ihn.
    »Das interessiert den Kommissar nicht! Was er will, das sind Tatsachen, Beweise! Nun, ich habe wenigstens den Beweis, daß Joseph Peeters, der behauptet, an jenem Tage nicht nach Givet gefahren zu sein, doch hier war. Er ist mit dem Motorrad gekommen und …«
    »Sie wollen auf die Zeugenaussage hinaus ? Die taugt nichts mehr. Ein anderer Motorradfahrer hat sich g e meldet und angegeben, daß er es war, der kurz nach acht den Kai entlanggefahren ist.«
    »Ach!«
    Und aggressiv:
    »Sind Sie gegen uns?«
    »Ich bin für und gegen niemand! Ich suche die Wahrheit!«
    Aber Gérard grinste nur und sagte mit lauter Stimme zu seinem Vater:
    »Der Kommissar ist nur hierhergekommen, um uns irgendeine Falle zu stellen. Sie entschuldigen mich, Herr Kommissar, aber ich muß jetzt essen … Ich

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