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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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schien den Lebensrhythmus des Hauses zu diktieren. Anna klappte ihre Kladde zu, stül p te eine Metallhülse über den Bleistift, stand auf und ho l te eine Tasse vom Regal.
    »Sie erlauben …« murmelte sie.
    »Ich hatte gehofft, Ihre Schwester Maria kennenzule r nen.«
    Madame Peeters schüttelte betrübt den Kopf. Anna erläuterte:
    »Sie werden sie erst in ein paar Tagen sehen können, es sei denn, daß Sie sie in Namur besuchen wollen. Eine ihrer Kolleginnen, die auch hier in Givet wohnt, ist vo r hin hier vorbeigekommen und hat uns alles erzählt. Maria ist heute morgen aus dem Zug ausgestiegen und hat sich dabei den Knöchel verstaucht.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »In der Schule. Sie hat dort Anspruch auf ein Zimmer …«
    Madame Peeters seufzte und schüttelte immer noch den Kopf:
    »Ich weiß nicht, was wir dem lieben Gott angetan haben!«
    »Und Joseph?«
    »Er wird nicht vor Samstag zurückkommen. Richtig, das ist ja schon morgen …«
    »Hat Ihre Kusine Marguerite Sie nicht besucht?«
    »Nein. Aber ich habe sie beim Nachmittagsgottesdienst getroffen …«
    Anna goß kochendheißen Kaffee in die Tasse. Madame Peeters ging hinaus und kam mit einem kleinen Glas und einer Flasche Genever zurück.
    »Das ist alter Schiedam.«
    Maigret setzte sich. Er rechnete nicht damit, etwas zu erfahren. Er hätte nicht einmal sagen können, warum er eigentlich hier war.
    Das Haus erinnerte ihn an eine Untersuchung, die er in Holland durchgeführt hatte. Gewiß gab es Unterschiede, aber er hätte sie nicht definieren können.
     
     
    Es herrschte jedenfalls die gleiche Ruhe, die gleiche drückende Atmosphäre, das gleiche Gefühl, daß die Luft ein fester Körper ist, der zerbröckeln könnte, wenn man sich bewegt.
    Von Zeit zu Zeit gab der Korbsessel ein Knacken von sich, ohne daß der Greis sich bewegt hätte. Und sein Atem bestimmte immer noch den Rhythmus des Lebens und der Unterhaltung.
    Anna sagte etwas auf flämisch, und Maigret, der ein paar Worte in Delfzijl gelernt hatte, verstand:
    »Du hättest ihm ein größeres Glas geben sollen.«
    Ab und zu klapperte jemand in Holzschuhen den Kai entlang. Man hörte den Regen gegen das Schaufenster prasseln.
    »Sie haben mir gesagt, daß es damals regnete, nicht wahr? Genau so stark wie heute?«
    »Ja … Ich glaube schon.«
    Und die beiden Frauen, die sich wieder gesetzt hatten, sahen ihm zu, wie er sein Glas ergriff und an die Lippen setzte.
    Anna hatte weder die feinen Züge ihrer Mutter noch deren liebenswürdiges, nachsichtiges Lächeln. Wie i m mer ließ sie Maigret nicht aus den Augen.
    Hatte sie bemerkt, daß das Porträt aus ihrem Zimmer verschwunden war? Wahrscheinlich nicht, denn sonst hätte sie kaum so unbefangen sein können.
    »Wir leben nun schon seit fünfunddreißig Jahren hier, Herr Kommissar«, sagte Madame Peeters. »Damals hatte mein Mann sich als Korbmacher niedergelassen, hier in diesem Haus, das er dann später aufgestockt hat …«
    Maigret dachte an etwas anderes, an Anna, wie sie vor fünf Jahren mit Gérard Piedbœuf einen Ausflug zu den Grotten von Rochefort machte.
    Was hatte sie in die Arme ihres Begleiters getrieben? Warum hatte sie sich ihm hingegeben? Was waren ihre Gedanken danach?
    Er hatte den Eindruck, daß es das einzige Abenteuer ihres Lebens war und auch bleiben würde …
    Der träge Rhythmus des Lebens in diesem Haus zog ihn in seinen Bann. Der Genever breitete eine dumpfe Wärme in Maigrets Schädel aus. Er nahm jedes noch so leise Geräusch wahr, das Knacken des Korbsessels, das Schnarchen des Alten, die Regentropfen auf der Fe n sterbrüstung.
    »Sie sollten mir noch einmal das Stück von heute morgen vorspielen«, sagte er zu Anna.
    Und als diese zögerte, bekräftigte ihre Mutter:
    »Aber ja! Sie spielt gut, nicht wahr? Sie hat sechs Jahre lang Stunden gehabt, dreimal in der Woche, bei dem besten Klavierlehrer von Givet …«
    Die junge Frau verließ die Küche. Die beiden Türen zwischen ihr und den anderen blieben offen. Der Klavierdeckel wurde hochgeschlagen.
    Ein paar Noten, lustlos mit der rechten Hand gespielt.
    »Sie sollte dazu singen«, murmelte Madame Peeters. »Marguerite singt noch besser … Man hat sogar übe r legt, ob sie am Konservatorium studieren sollte.«
    Die Noten rieselten durch die leere und dunkle Stille des Hauses. Der Alte wurde nicht wach, und seine Frau, die befürchtete, er könne seine Pfeife fallen lassen, nahm sie ihm behutsam aus der Hand und hängte sie an einen Haken an der Wand.
    Was hatte

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