Maigret bei den Flamen
geisterte.
Maigret kam an seinem Hotel vorbei, ging aber nicht hinein. Durch die Scheiben sah er Inspektor Machère, der inmitten einer Gruppe, zu der auch der Wirt gehö r te, große Reden schwang. Es sah so aus, als wären sie schon bei der vierten oder fünften Runde Schnaps angelangt. Jetzt gab auch der Wirt eine Runde aus.
Machère schien sehr aufgekratzt zu sein und redete mit den Händen. Bestimmt sagte er gerade:
»Da kommt so ein Kommissar aus Paris und bildet sich ein …«
Und dann zog man über die Flamen her! Kein gutes Haar ließ man an ihnen!
Am Ende einer engen Straße stieß man auf einen recht weitläufigen Platz. An einer Ecke war ein Café mit einer weißen Fassade und drei hellerleuchteten Fenstern: das Café de la Mairie.
Ein Gemurmel, das einen umfing, sobald man die Tür öffnete. Eine zinkbeschlagene Theke. Tische, an d e nen Kartenspieler vor roten Tischteppichen saßen. Pfeifen- und Zigarettenrauch und der säuerliche Geruch von schalem Bier.
»Zwei Halbe!«
Das Geräusch von Münzen auf dem Marmortischchen der Kasse. Die weiße Schürze des Kellners.
»Hier bitte!«
Maigret setzte sich an den erstbesten Tisch und entdeckte sogleich Gérard Piedbœuf in einem der beschl a genen Spiegel an der Wand. Auch er war sehr lebhaft, wie Machère. Er hörte plötzlich mitten im Satz auf zu reden, als er den Kommissar bemerkte, und sicherlich stieß er seine Begleiter mit dem Fuß an.
Er saß mit einem jungen Mann und zwei Mädchen am Tisch, die ungefähr gleichaltrig sein mochten. Die Mädchen waren wahrscheinlich kleine Arbeiterinnen aus der Fabrik.
Alle schwiegen. Selbst die Kartenspieler an den anderen Tischen sagten ihre Punkte mit verhaltener Stimme an, und alle Blicke waren auf den Neuankömmling g e richtet.
»Ein Halbes!«
Maigret zündete seine Pfeife an und legte seinen tropfnassen Hut neben sich auf das braune Kunstleder der Sitz bank.
»Ein Bier bitte, ein Halbes!«
Gérard Piedbœuf setzte ein mokantes, verächtliches Lächeln auf und knurrte halblaut:
»Ein Flamenfreund …«
Auch er hatte getrunken. Seine Augen hatten einen übersteigerten Glanz. Die tiefroten Lippen unterstrichen die Blässe seines Gesichts. Man merkte ihm an, daß er sehr erregt war. Er beobachtete den Schankraum und suchte nach einer Bemerkung, mit der er seinen Begle i terinnen imponieren konnte.
»Weißt du, Ninie, wenn du erst einmal reich bist, dann brauchst du von der Polizei nichts mehr zu befürchten …«
Sein Freund stieß ihn mit dem Ellenbogen an, um ihn zum Schweigen zu bringen, aber das führte nur d a zu, daß er sich noch mehr aufregte.
»Was soll das? Hat man denn nicht mehr das Recht, zu sagen, was man denkt? Und ich sage dir, die Polizei ist für die Reichen immer da, aber wehe, wenn du arm bist …«
Er war leichenblaß. Im Grunde war er über seine eigenen Worte erschrocken, aber er wollte jetzt, da alle ihn anstarrten, auch nicht mehr zurückstecken.
Maigret strich den Schaum von seinem Bier und trank einen großen Schluck. Man hörte, wie die Kartenspieler murmelten, um die Stille zu überbrücken:
»Terz!«
»Vier Buben!«
»Du kommst.«
»Mein Stich!«
Die beiden kleinen Arbeiterinnen wagten nicht, sich nach dem Kommissar umzudrehen, und setzten sich so, daß sie ihn im Spiegel beobachten konnten.
»Man könnte ja fast glauben, daß es ein Verbrechen ist, in Frankreich Franzose zu sein! Besonders, wenn man außerdem noch arm ist …«
Hinter der Kasse runzelte der Wirt die Stirn und versuchte, Maigret mit einem Blick zu verstehen zu geben, daß der junge Mann betrunken war. Aber Maigret ac h tete nicht auf ihn.
»Und Pik! Und nochmal Pik! Na, mit dem Blatt habt ihr wohl nicht gerechnet, was?«
»Leute, die sich ihr Geld zusammengeschmuggelt haben!« fuhr Gérard fort, und zwar so, daß das ganze Lokal ihn hören konnte. »Das weiß doch jeder in Givet! Vor dem Krieg waren es Zigarren und Brüsseler Spitze. Jetzt, wo der Schnaps in Belgien verboten ist, schenken sie den flämischen Schiffern Genever aus. Und dadurch kann ihr Sohn jetzt Anwalt werden … Ha! Das wird er ja bald auch nötig haben, um sich selbst zu verteidigen!«
Maigret blieb allein an seinem Tisch, und die Blicke aller Gäste waren auf ihn gerichtet. Er hatte seinen Mantel nicht ausgezogen. Die Schultern glänzten vom R e gen.
Der Wirt wurde unruhig, fürchtete, daß es Ärger geben würde, und beugte sich zum Kommissar:
»Bitte hören Sie um Himmels willen nicht hin! Er hat getrunken. Und
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