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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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andere und betrachtete sich einen Augenblick im Spiegel, bevor er sich das Gesicht mit dem Rasierpinsel einzuseifen begann. Während er sich rasierte, las Machère noch einmal den mit der Maschine geschriebenen B e richt durch, den er in den Händen hielt.
    »Sagen Sie, finden Sie das nicht auch ungewöhnlich? Nicht den Schlag mit dem Hammer. Ich meine die Ta t sache, daß die Leiche erst zwei oder drei Tage nach dem Mord ins Wasser geworfen wurde. Ich muß den Flamen noch einmal einen Besuch abstatten …«
    »Haben Sie die Liste der Kleidungsstücke, die Germaine Piedbœuf trug?«
    »Ja. Warten Sie … Schwarze Schnürschuhe, ziemlich abgelaufen … schwarze Strümpfe … rosa Unterwäsche von schlechter Qualität … ein Kleid aus schwarzem Kammgarn, ohne Firmenzeichen …«
    »Ist das alles? Kein Mantel?«
    »Tatsächlich! Sie haben recht, ein Mantel ist nicht dabei.«
    »Es war am 3 . Januar. Es regnete. Es war kalt …«
    Machères Gesicht verfinsterte sich. Er brummte, ohne sich näher auszulassen:
    »In der Tat!«
    »In der Tat was?«
    »Sie verstand sich nicht so gut mit den Peeters, daß man sie gebeten hätte, den Mantel abzulegen. Andererseits ve r stehe ich nicht, warum der Mörder ihr den Mantel ausg e zogen haben könnte. Wenn schon, dann hätte er sie ganz ausgezogen, um die Identifizierung zu erschweren …«
    Maigret wusch sich geräuschvoll und spritzte das Wasser bis zum Inspektor hin, obwohl dieser in der Mi t te des Zimmers stand.
    »Wissen die Piedbœufs schon Bescheid?«
    »Noch nicht. Ich dachte, Sie würden es vielleicht übernehmen …«
    »Gar nichts übernehme ich! Ich bin hier nicht im Dienst! Tun Sie so, als wenn Sie ganz allein wären, Herr Kollege!«
    Und er suchte seinen Kragenknopf, zog sich fertig an und schob Machère zur Tür hinaus .
    »Ich muß jetzt gehen. Bis nachher …«
     
     
    Er wußte nicht, wohin er ging. Er ging hinaus , einfach um hinaus zugehen, oder vielmehr, um erneut in die Atmosphäre der Stadt hineinzutauchen. Der Zufall wollte es, daß er vor einem Messingschild stehen blieb, das die Aufschrift trug:
     
    Dr. van de Weert
    Arzt
    Sprechstunde 10 – 12 Uhr
     
    Einige Minuten später ließ man ihn vor den drei Patienten, die im Wartezimmer saßen, herein, und er sah sich einem kleinen Mann mit rosiger Kinderhaut gegenüber, dessen Haare ebenso schneeweiß waren wie die von M a dame Peeters.
    »Was führt Sie zu mir? Doch nichts Unangenehmes?«
    Beim Sprechen rieb er sich die Hände, und sein ganzes Gehabe verriet einen unerschütterlichen Optimi s mus.
    »Meine Tochter hat mir gesagt, daß Sie es freundlicherweise übernommen hätten …«
    »Ich wollte Ihnen zunächst eine Frage stellen. Wieviel Kraft ist erforderlich, um den Schädel einer Frau mit einem Hammer zu zertrümmern?«
    Die Bestürzung des kleinen Mannes, über dessen Bauch sich eine schwere Uhrkette spannte und der ein altmodisches Jackett trug, war sehenswert.
    »Einen Schädel? Was weiß denn ich? Ich hatte noch nie Gelegenheit, hier in Givet …«
    »Glauben Sie zum Beispiel, daß eine Frau in der Lage wäre …«
    Er war fassungslos. Er fuchtelte mit den Armen in der Luft herum .
    »Eine Frau? Aber das ist doch Wahnsinn! Eine Frau käme doch niemals auf den Gedanken …«
    »Sind Sie Witwer, Herr van de Weert?«
    »Seit zwanzig Jahren. Meine Tochter ist zum Glück …«
    »Was halten Sie von Joseph Peeters?«
    »Joseph? Ein prima Junge! Ich hätte es zwar lieber gesehen, wenn er sich für die Medizin entschieden hätte, denn dann könnte er später einmal meine Praxis übernehmen. Aber wenn er nun einmal für die Juristerei begabt ist … Das ist schließlich auch ein interessantes G e biet …«
    »Und seine Gesundheit?«
    »Sehr gut! Sehr gut! Er ist vielleicht ein bißchen erschöpft von der harten Arbeit und durch das Wachstum …«
    »Sind die Peeters nicht irgendwie erblich belastet?«
    »Erblich belastet?«
    Er war so verblüfft, daß man hätte glauben können, der Begriff sei ihm völlig unbekannt.
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr, Herr Kommissar! Sie haben meine Kusine doch gesehen. So wie sie gebaut ist, kann sie hundert Jahre alt werden …«
    »Und Ihre Tochter auch?«
    »Sie ist zarter. Sie kommt auf ihre Mutter hinaus . Aber erlauben Sie, daß ich Ihnen eine Zigarre anbiete …«
    Ein echter Flame, wie man sie auf den bunten Plakaten findet, mit denen eine Genevermarke Reklame macht, ein Flame mit vollen Lippen und hellen Augen, aus denen die Schlichtheit seiner Seele

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