Maigret bei den Flamen
Licht. Dann wu r de die Haustür geöffnet. Madame Peeters zog sie sorgfä l tig hinter sich ins Schloß und ging mit eiligen Schritten davon, ein Meßbuch im schwarzen Leinenschuber in der Hand.
Maigret verbrachte den ganzen Vormittag draußen und betrat nur gelegentlich ein Café, um einen Schnaps zu trinken und sich aufzuwärmen. Wetterkundige behaupt e ten, daß es frieren würde, und das wäre dann eine Kat a strophe für die Gegenden, die das Hochwasser übe r schwemmt hatte.
Um halb acht kam Madame Peeters von der Messe z u rück, öffnete die Fensterläden des Geschäfts und machte in der Küche das Feuer an.
Erst gegen neun zeigte Joseph sich einen Augenblick in der Tür, ohne Kragen, noch ungewaschen und unrasiert, die Haare wild durcheinander.
Um zehn Uhr ging er mit Anna, die einen neuen Mantel aus beigefarbenem Stoff trug, zur Messe.
Im Café de la Mairie herrschte noch Ungewißheit, ob ein Schlepper, dessen Ankunft man erwartete, bereit sein würde, noch am gleichen Tag mit einem Schiffszug z u rückzufahren. Also blieben die Schiffer die ganze Zeit in dem Lokal und gingen nur gelegentlich vor die Tür, um flußabwärts zu schauen.
Es war fast zwölf, als Gérard Piedbœuf im Sonntagsanzug das Haus verließ, mit gelben Schuhen, einem he l len Filzhut und Lederhandschuhen. Er kam ganz nah an Maigret vorbei. Sein erster Gedanke war gewiß, ihn nicht anzusprechen, ja nicht einmal zu grüßen.
Aber er konnte seinem Verlangen nicht widerstehen, sich aufzuspielen oder seine Gedanken auszusprechen.
»Ich gehe Ihnen auf die Nerven, nicht wahr? Sicher verachten Sie mich!«
Er hatte Ringe unter den Augen. Seit jenem Vorfall im Café de la Mairie lebte er in ständiger Unruhe.
Maigret zuckte mit den Schultern und kehrte ihm den Rücken. Er sah die Hebamme, die das Kind in einen Wagen setzte und stadteinwärts schob.
Machère ließ sich nicht blicken. Erst kurz vor eins traf Maigret ihn, und zwar im Café de la Mairie. Gérard saß mit seinem Freund und seinen beiden Begleiterinnen von damals an einem anderen Tisch.
Machère selbst war von drei Männern umgeben, die der Kommissar schon einmal gesehen zu haben glaubte.
»Der stellvertretende Bürgermeister … Der Polizeikommissar … Sein Assistent …« stellte der Inspektor vor.
Alle waren im Sonntagsanzug und tranken Anisschnaps. Jeder hatte schon drei Untersetzer vor sich stehen. Machère gab sich ungewöhnlich selbstsicher.
»Ich habe den Herren gerade mitgeteilt, daß die Ermittlungen so gut wie abgeschlossen sind. Jetzt hängt a l les nur noch von der belgischen Polizei ab. Ich wund e re mich, daß noch kein Telegramm aus Brüssel geko m men ist, um uns die Festnahme des Schiffers zu melden …«
»Telegramme werden sonntags nach elf Uhr nicht mehr ausgetragen«, unterbrach ihn der stellvertretende Bürgermeister. »Es sei denn, Sie waren selbst auf der Post … Was darf man Ihnen anbieten, Herr Kommissar? Wissen Sie, daß man hier in der Gegend sehr viel von Ihnen gesprochen hat?«
»Wie schön.«
»Ich wollte sagen, daß man schlecht von Ihnen gesprochen hat. Man hat Ihr Verhalten als …«
»Ein Halbes, Garçon! Schön kalt!«
»Sie trinken um diese Tageszeit Bier?«
Draußen stolzierte Marguerite vorbei. Sie war ganz Dame und wußte, daß alle ihr nachsahen.
»Das Ärgerliche ist, daß diese Sittlichkeitsdelikte … Schauen Sie! Seit zehn Jahren hat es so etwas in Givet nicht mehr gegeben. Das letzte Mal war es ein poln i scher Arbeiter, der …«
»Sie entschuldigen mich, meine Herren …«
Maigret lief hinaus und holte auf der Hauptstraße Anna Peeters und ihren Bruder ein, die mit hoch erhobenem Kopf dahergingen, als wollten sie allen Verdäc h tigungen trotzen.
»Ich werde mir erlauben, Sie heute nachmittag zu besuchen, wie ich es gestern angekündigt habe …«
»Wann ungefähr?«
»Um halb vier, wenn es Ihnen recht ist.«
Und mit brummigem Gesicht ging er ganz allein zurück zu seinem Hotel, wo er an einem etwas abseits st e henden Tisch zu Mittag aß.
»Geben Sie mir bitte eine Verbindung nach Paris!«
»Ferngespräche können sonntags nach elf Uhr nicht mehr vermittelt werden.«
»Dann eben nicht.«
Während des Essens las er eine Lokalzeitung und amüsierte sich über die Schlagzeile:
Das Rätsel von Givet wird immer undurchsichtiger
Für ihn gab es nichts Rätselhaftes mehr.
»Bringen Sie mir noch Bohnen dazu!« rief er dem Kellner nach.
9
Rund um einen Korbsessel
V
on all den kleinen Sonntagsritualen der
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