Maigret bei den Flamen
Grenze, die Lastkähne, das Haus der Flamen, der schmutzige Kai.
Maigret war erstaunt, einen schweren Gegenstand in seiner Tasche zu fühlen. Er griff hinein und fand den Hammer, an den er nicht mehr gedacht hatte.
Inspektor Machère, der das Auto hatte anhalten hören, stand auf der Schwelle des Cafés und sah zu, wie Maigret den Fahrer entlohnte.
»Hat man Sie hineingelassen?«
»Natürlich!«
»Das wundert mich! Ehrlich gesagt, ich hätte wetten mögen, daß Maria Peeters gar nicht dort sei …«
»Wo hätte sie denn sein sollen?«
»Ich weiß es nicht. Ich verstehe das alles nicht mehr. Vor allem, seit der Hammer gefunden wurde … Wissen Sie, wer mich eben aufgesucht hat?«
»Der Schiffer?«
Und Maigret, der in die Gaststube eingetreten war, bestellte ein Bier und setzte sich in eine Ecke am Fenster.
»Beinahe! Jedenfalls kommt es fast auf das gleiche hinaus . Gérard Piedbœuf war hier. Ich hatte die umliegenden Bahnhöfe mit dem Auto abgeklappert und nichts heraus bekommen …«
»Und Gérard hat dir verraten, wo sich unser Mann versteckt?«
»Er hat mir jedenfalls erzählt, der Schiffer sei gesehen worden, wie er in Givet um vier Uhr fünfzehn den Zug bestieg. Das ist der Zug nach Brüssel …«
»Wer hat ihn gesehen?«
»Ein Freund von Gérard. Er hat mir angeboten, ihn herzubringen.«
»Soll ich zwei Gedecke auflegen?« fragte der Wirt.
»Ja. Nein … Ist egal …«
Maigret trank sein Bier in großen, schnellen Zügen.
»Ist das alles?«
»Finden Sie nicht, daß das genug ist? Wenn man ihn tatsächlich am Bahnhof gesehen hat, dann ist er auch nicht tot. Dann ist er nämlich auf der Flucht. Und wenn er auf der Flucht ist …«
»Genau!«
»Also denken Sie das gleiche wie ich!«
»Ich denke überhaupt nichts, Machère. Ich schwitze! Und kalt ist mir auch! Ich fürchte, ich habe mir eine schöne Erkältung eingefangen. Ich muß erst einmal in mich hineinhorchen, ob ich etwas essen oder lieber gleich ins Bett gehen soll. Noch ein Halbes, Garçon! Moment mal, nein! Einen Grog. Aber mit viel Rum!«
»Hat sie sich wirklich den Fuß verstaucht?«
Maigret antwortete nicht. Er brütete vor sich hin. Man hätte sogar sagen können, daß er nervös war.
»Jedenfalls hat der Untersuchungsrichter dir doch sicher einen Blanko-Haftbefehl gegeben?«
»Ja, schon. Aber er hat mir geraten, sehr vorsichtig damit zu sein, wegen der Mentalität der Leute hier in den kleinen Städten. Ich soll ihn anrufen, bevor ich i r gend etwas Endgültiges unternehme.«
»Und was wirst du tun?«
»Ich habe schon an die Sûreté in Brüssel telegrafiert, daß man den Schiffer beim Verlassen des Zuges fes t nehmen soll. Und ich muß Sie bitten, mir das Mor d werkzeug auszuhändigen.«
Zur großen Verwunderung einiger Gäste zog der Kommissar den Hammer aus der Tasche und legte ihn auf die Marmorplatte des Tisches.
»Ist das alles?«
»Sie müssen auch eine Aussage zu Protokoll geben, weil Sie ihn ja gefunden haben.«
»Aber nein! Aber nein! Das weiß doch keiner. Den Hammer hast du entdeckt …«
Machères Augen leuchteten vor Freude.
»Ich danke Ihnen. Das ist wichtig für die Beförderung.«
»Ich habe neben dem Ofen für zwei gedeckt«, teilte der Wirt ihnen mit.
»Danke, ich habe keinen Hunger. Ich gehe schlafen.«
Maigret drückte seinem Kollegen die Hand und ging hinauf in sein Zimmer.
Wahrscheinlich hatte er sich erkältet, weil er seit zwei Tagen mit feuchten Kleidern am Leibe herum lief, denn er hatte keinen Anzug zum Wechseln mitgenommen.
Er fühlte sich wie gerädert. Ehe er einschlief, kämpfte er noch eine gute halbe Stunde gegen die verschwommenen Bilder an, die in ermüdend schneller Folge vor seinen Augen vorüberglitten.
Am Sonntagmorgen war er allerdings als erster auf. In der Gaststube fand er nur den Kellner vor, der die Kaffeemaschine in Gang setzte und gemahlenen Kaffee in den Filteraufsatz schüttete.
Die Stadt schlief noch. Nur unmerklich ging die Nacht in die Morgendämmerung über, und die Laternen waren noch an. Auf dem Fluß hingegen riefen die Schiffer einander von einem Kahn zum anderen knappe Kommandos zu, warfen einander Taue zu, und ein Schlepper manövrierte sich an ihre Spitze.
Und wieder setzte sich ein Schleppzug in Richtung Belgien und Holland in Bewegung.
Der Regen hatte fast aufgehört. Nur noch ein feiner Nieselregen bestäubte die Schultern mit winzigen Wassertröpfchen.
Irgendwo läuteten Kirchenglocken. Im Haus der Flamen brannte hinter einem der Fenster
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