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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Familie fasz i nierte Maigret am meisten, daß man den Korbsessel des alten Peeters von der Küche in das Eßzimmer brachte.
    Während der Woche hatten der Sessel und folglich auch der Alte ihren Platz in der Nähe des Ofens. Selbst wenn man Gäste im Eßzimmer empfing, zeigte sich der alte Peeters nicht.
    Aber er hatte einen Sonntagsplatz an dem Fenster, das auf den Hof hinaus ging. Die Meerschaumpfeife mit dem langen Kirschholzholm lag auf der Fensterbank n e ben einem Tabaktopf.
    Vor dem Kamin, in dem die Eierkohlen glühten, hatte sich Dr. van de Weert in einem kleineren Ledersessel ni e dergelassen und schlug seine fetten, kurzen Beine überei n ander.
    Während er den Bericht des belgischen Gerichtsmediziners durchlas, wackelte er unablässig mit dem Kopf, nickte zustimmend, tat dann wieder verwundert und kommentierte seine Lektüre mit zierlichen Geste n. Schließlich hielt er Maigret den Bericht hin. Marguerite, die zwischen ihnen saß, wollte ihn an sich nehmen.
    »Nein! Das ist nichts für dich …« schritt van de Weert ein.
    »Das interessiert Sie sicher mehr als mich!« sagte Ma i gret und gab das Schreiben Joseph Peeters.
    Sie saßen alle um den Tisch herum : Joseph und Marguerite, Anna und ihre Mutter, die sich von Zeit zu Zeit erhob, um nach dem Kaffeewasser zu sehen.
    Nach belgischer Manier trank der Arzt Burgunder und rauchte dazu eine Zigarre, deren angezündetes Ende er unablässig unter seinem Kinn hin und her schwenkte.
    Auf dem Küchentisch hatte Maigret im Vorbeigehen ein halbes Dutzend Torten bereitgestellt gesehen.
    »Zweifellos ein hervorragender Bericht. Allerdings sagt er nichts darüber , ob …«
    Er warf einen verlegenen Seitenblick auf seine Tochter.
    »Sie verstehen, was ich sagen will. Er enthält keine Angaben darüber , ob …«
    »Ob sie vergewaltigt wurde«, äußerte Maigret unverblümt.
    Und er hätte beinahe lauthals gelacht, als er das entsetzte Gesicht des Arztes sah, der sich nicht vorstellen konnte, daß jemand so etwas auszusprechen wagte.
    »Es wäre nicht uninteressant gewesen, das zu wissen, denn in vergleichbaren Fällen … Sehen Sie, 1911 gab es einen Fall …«
    Er plauderte munter drauflos und erzählte mit dezenten Umschreibungen irgendeinen Fall. Aber der Ko m missar hörte ihm nicht zu. Er beobachtete Joseph Pe e ters, der den Autopsiebericht durchlas.
    Dieser Bericht enthielt ohne jede Beschönigung eine detaillierte Beschreibung der Leiche von Germaine Piedbœuf, wie man sie aus der Maas geborgen hatte.
    Joseph war bleich. Er hatte die gleichen schmalen N a senflügel wie seine Schwester Maria.
    Es sah fast so aus, als würde er seine Lektüre abbrechen und Maigret den Bericht zurückgeben. Aber nichts dergleichen geschah. Er las weiter. Als er die erste Seite umdrehen wollte, unterbrach ihn Anna, die ihm über die Schulter sah:
    »Moment noch …«
    Sie hatte noch drei Zeilen zu lesen. Dann begannen sie gemeinsam, die folgende Seite zu lesen, die mit den Worten anfing:
    » … infolge der Schädelfraktur mit handtellergroßem knöchernem Defekt war keinerlei Hirnsubstanz mehr nachweisbar … «
    »Würden Sie bitte Ihr Glas hochnehmen, Herr Kommissar? Ich möchte den Tisch decken …«
    Madame Peeters stellte den Aschenbecher, die Zigarren und den Genever auf den Kaminsims und breitete eine handgestickte Decke über den Tisch.
    Ihre Kinder lasen immer noch. Marguerite sah ihnen begierig zu. Der Arzt hingegen hatte gemerkt, daß ihm niemand mehr zuhörte, und rauchte schweigend.
    Als er auch die zweite Seite gelesen hatte, war Joseph Peeters aschfahl. Er hatte dunkle Schatten um die N a senflügel und Schweißtropfen auf den Schläfen. Er ve r gaß das Blatt umzudrehen, so daß Anna es tun mußte, die ihre Lektüre allein bis zum Schluß fortsetzte.
    Marguerite nahm die Gelegenheit wahr, um sich zu erheben und dem jungen Mann die Hand auf die Schulter zu legen.
    »Mein armer Joseph! Du hättest das nicht lesen sollen. Glaub mir, du solltest lieber einen Augenblick an die frische Luft gehen.«
    Maigret kam das sehr gelegen:
    »Das ist eine Idee! Ich muß mir auch ein wenig die Füße vertreten …«
    Wenig später standen sie beide ohne Hut und Mantel auf dem Kai. Es regnete nicht mehr. Einige Angler nut z ten selbst die kleinste Lücke zwischen den Kähnen aus. Von der anderen Seite der Brücke hörte man ununte r brochen die Klingel eines Kinos.
    Nervös zündete der junge Peeters sich eine Zigarette an und blickte gedankenverloren auf die unruhige Obe r

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