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Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Titel: Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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vier Uhr morgens war Heurtin wieder in der Rue Monsieur-le-Prince … Er hat weder den Zug noch die Straßenbahn, noch ein anderes öffentliches Verkehrsmittel benutzt … Er hat auch kein Taxi genommen … Seinen Dreiradwagen hatte er bei seinem Arbeitgeber in der Rue de Sèvres stehenlassen …«
    Und er konnte unmöglich zu Fuß zurückgekehrt sein! Außer wenn er ununterbrochen gerannt wäre.
    Am Montparnasse herrschte Hochbetrieb. Es war halb ein Uhr mittags. Die Terrassen der vier großen Cafés nahe des Boulevard Raspail waren trotz der herbstlichen Kühle überfüllt. Rund achtzig Prozent der Gäste schienen Ausländer zu sein.
    Maigret steuerte auf das ›Coupole‹ zu, sah den Eingang zur Bar und trat ein.
    Es gab nur fünf Tische, und alle waren besetzt. Die meisten Gäste saßen auf den hohen Barhockern oder standen um die Theke herum.
    Der Kommissar hörte, wie jemand bestellte:
    »Einen Manhattan.«
    »Für mich auch«, sagte er.
    Zu seiner Zeit hatte man noch Bockbier in einfachen Kneipen getrunken. Der Barmixer schob ihm eine Schale Oliven hin. Er rührte sie nicht an.
    »Sie gestatten …«, hörte er eine junge Schwedin sagen, deren Haar eher gelb als blond war.
    Das Lokal war zum Bersten voll. Weiter hinten im Raum ging eine in die Wand eingelassene Durchreiche pausenlos auf und zu, weil dort von der Küche Oliven, Chips, belegte Brötchen und warme Getränke geschoben wurden.
    Gläser und Teller klapperten, die vier Kellner schrien einer lauter als der andere, während die Gäste sich durch Zurufe in verschiedenen Sprachen verständigten.
    Und doch herrschte bei alledem der Eindruck vor, daß Gäste, Barmixer, Kellner und Dekor ein harmonisches Ganzes bildeten.
    Die Leute gingen ungezwungen miteinander um, und jeder – ob es nun eine junge Dame oder ein Fabrikant, der mit ein paar gutgelaunten Freunden in seiner Limousine vorfuhr, oder ein estländischer Kunstjünger war –, jeder nannte den Chefbarmann einfach Bob.
    Jeder sprach mit jedem, ohne sich vorzustellen, wie unter alten Bekannten. Ein Deutscher unterhielt sich auf englisch mit einem Yankee, ein Norweger versuchte sich in einem Gemisch aus mindestens drei Sprachen einem Spanier verständlich zu machen.
    Maigret sah zwei Frauen, die jeder kannte, jeder begrüßte, und in der einen erkannte er, obgleich sie dicker und älter geworden war und sich jetzt in Pelze hüllte, das junge Ding wieder, das er einst nach einer Razzia an der Rue de la Roquette ins Frauengefängnis Saint-Lazare verfrachten mußte.
    Sie hatte eine brüchige Stimme und erloschene Augen, und alle schüttelten ihr im Vorbeigehen die Hand. Sie thronte an ihrem Tisch wie die Verkörperung des ganzen wirren Durcheinanders.
    »Haben Sie etwas zum Schreiben hier?« erkundigte sich Maigret bei einem der Barmixer.
    »Nicht während der Aperitif-Zeit … Da müssen Sie in die Brasserie gehen …«
    Neben den lärmenden Gruppen konnte man auch ein paar Einzelgänger erkennen. Und das verlieh dem Lokal vielleicht seine besondere Stimmung.
    Auf der einen Seite Leute, die laut redeten, gestikulierten, eine Runde nach der anderen spendierten und ebenso luxuriöse wie ausgefallene Kleider trugen.
    Auf der anderen Seite diese Sonderlinge, Menschen aus aller Welt, die scheinbar nur nach Paris gekommen waren, um ihr Teil zu dieser schillernden Gesellschaft beizusteuern.
    Da saß zum Beispiel eine junge Frau, die bestimmt noch keine zweiundzwanzig Jahre zählte, in einem kleinen, gut geschnittenen und perfekt sitzenden schwarzen Kostüm, dem man dennoch ansah, daß es schon hundertmal frisch aufgebügelt worden war.
    Ein merkwürdig müdes, angespanntes Gesicht. Sie hatte ein Skizzenbuch neben sich liegen. Und mitten unter Leuten, die Aperitifs zu zehn Franc schlürften, trank sie ein Glas Milch und aß ein Hörnchen.
    Und das um ein Uhr mittags! Es mußte ihre einzige Mahlzeit sein. Sie nutzte die Gelegenheit, um eine russische Zeitung zu lesen, die für die Gäste des Hauses bereitlag.
    Sie hörte nichts, sie sah nichts. Gemächlich knabberte sie an ihrem Hörnchen, trank bisweilen einen Schluck Milch, ohne die Gesellschaft zu beachten, die am gleichen Tisch saß und bei ihrem vierten Cocktail angelangt war.
    Nicht weniger auffallend war ein Mann, dessen Haarschopf allein schon alle Blicke auf sich ziehen mußte. Sein Haar war rot, kraus und ungewöhnlich lang.
    Er trug einen dunkel glänzenden, abgewetzten Anzug und ein blaues Hemd ohne Krawatte, dessen Kragen weit offen stand.
    Er saß

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