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Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Titel: Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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im hintersten Winkel der Bar, wie ein alter Stammgast, den niemand zu stören wagte, und löffelte ein Joghurt.
    Hatte auch er nur fünf Franc in der Tasche? Woher kam er? Wohin ging er? Und wie verschaffte er sich die paar Sous für dieses Joghurt, das vermutlich seine einzige Mahlzeit am Tag war?
    Er hatte feurige Augen, wie die Russin, und faltige Lider, aber einen ungemein verächtlichen, hochmütigen Ausdruck im Gesicht. Niemand trat zu ihm an den Tisch, niemand reichte ihm die Hand, niemand richtete das Wort an ihn.
    Die Drehtür bewegte sich. Ein Paar kam herein, und im Spiegel erkannte Maigret den jungen Crosby und seine Frau. Sie waren in einem amerikanischen Schlitten vorgefahren, der mindestens zweihundertfünfzigtausend Franc gekostet haben mußte.
    Man sah ihn draußen am Bordstein stehen, unübersehbar schon wegen seiner Karosserie, die von oben bis unten vernickelt war.
    William Crosby trat zwischen zwei Gästen, die zur Seite rückten, an die Bar und reichte dem Mixer über die Mahagonitheke hinweg die Hand.
    »Wie geht’s, Bob?«
    Madame Crosby stürzte sich auf die junge blonde Schwedin, umarmte sie und begann sich auf englisch mit ihr zu unterhalten.
    Diese beiden brauchten nicht einmal zu bestellen! Bob schob Crosby einen Whisky mit Soda hin, mixte für die junge Frau einen ›Rose‹, fragte:
    »Schon zurück aus Biarritz?«
    »Wir sind bloß drei Tage geblieben. Dort regnet es noch mehr als hier …«
    Crosby entdeckte Maigret, nickte ihm zu.
    Er war hochgewachsen, Anfang Dreißig, hatte braunes Haar und einen federnden Gang.
    Von all den Männern, die sich in diesem Augenblick um die Bar drängten, war er ohne Zweifel der einzige, dessen Eleganz nicht aufdringlich wirkte.
    Lässig schüttelte er Hände, fragte:
    »Was trinken Sie …?«
    Er war reich. Er hatte vor der Tür einen schnellen Sportwagen stehen, mit dem er je nach Lust und Laune nach Nizza, Biarritz, Deauville oder Berlin raste.
    Seit mehreren Jahren bewohnte er eine Suite in einem Palasthotel an der Avenue George-V, und von seiner Tante hatte er außer der Villa in Saint-Cloud fünfzehn oder zwanzig Millionen Franc geerbt.
    Madame Crosby war sehr zierlich, aber überaus lebhaft, und sie redete ununterbrochen in einer Mischung aus Englisch und Französisch, mit einem unnachahmlichen Akzent und einer hohen Stimme, die ihre Anwesenheit verriet, noch ehe man sie zu Gesicht bekam.
    Andere Gäste schoben sich zwischen die Crosbys und Maigret. Ein Abgeordneter, den der Kommissar vom Sehen kannte, kam herein und wechselte einen freundschaftlichen Händedruck mit dem jungen Amerikaner.
    »Wollen wir zusammen essen?«
    »Heute nicht … Wir sind in der Stadt eingeladen …«
    »Also morgen?«
    »In Ordnung. Wir treffen uns hier …«
    »Monsieur Valachine wird am Telefon verlangt!« rief ein Page. Jemand erhob sich, schritt zu den Kabinen.
    »Zwei ›Roses‹, zwei …!«
    Teller klirrten. Der Lärm schwoll an.
    »Können Sie mir Dollars wechseln …?«
    »In der Zeitung steht der Kurs …«
    »Ist Suzy nicht da …?«
    »Eben gegangen. Sie ist zum Mittagessen im Maxim’s verabredet …«
    Maigret dachte an den Jungen mit dem Wasserkopf und den langen Armen, der mit knapp zwanzig Franc in der Tasche im Getümmel von Paris untergetaucht war und nach dem jetzt die gesamte französische Polizei fahndete.
    Er erinnerte sich, wie das leichenfahle Gesicht langsam über der dunklen Mauer der Santé aufgetaucht war.
    Er erinnerte sich an Dufours Stimme am Telefon:
    »Er schläft …«
    Er hatte einen ganzen Tag geschlafen!
    Wo mochte er jetzt sein? Und warum, ja, warum hatte er diese Mrs. Henderson umgebracht, die er nicht kannte und die er nicht beraubt hatte?
    »Trinken Sie Ihren Aperitif öfters hier?«
    William Crosby stand vor Maigret, hielt ihm sein Zigarettenetui hin.
    »Danke. Ich rauche nur Pfeife.«
    »Darf ich Sie zu einem Drink einladen? Wie wär’s mit Whisky?«
    »Ich bin schon dabei, wie Sie sehen.«
    Crosby betrachtete ihn stirnrunzelnd.
    »Verstehen Sie denn Englisch, Russisch, Deutsch?«
    »Französisch, und damit hat es sich.«
    »Dann muß Ihnen das ›Coupole‹ wie der Turm zu Babel vorkommen … Ich hab Sie hier aber noch nie gesehen … Apropos, ist es wahr, was man sich erzählt?«
    »Was denn?«
    »Der Mörder … Sie wissen doch –«
    »Ach was! Kein Grund zur Beunruhigung …«
    Sekundenlang fühlte er Crosbys Blick auf sich ruhen.
    »Kommen Sie! Tun Sie uns den Gefallen und trinken Sie ein Glas mit uns. Meine Frau

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