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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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den Dummen spielen nennt: jedesmal ein Wort erstaunt wiederholen.
    »Sie waren bereit, mir die Wahrheit zu sagen …«
    »Die Wahrheit?«
    »Kommen Sie! Versuchen Sie nicht, den Schwachkopf zu spielen. Sie wissen, wer Couchet umgebracht hat …«
    »Ich? … Ich weiß?«
    Wenn er noch nie eine Ohrfeige bekommen hatte, so war er jetzt nahe daran, sich eine besonders gewaltige von der Hand Maigrets einzufangen!
    Der Kommissar betrachtete mit zusammengebissenen Zähnen die reglose Frau, die schlief oder zu schlafen vorgab, und dann das Männchen mit den noch geschwollenen Lidern, dessen Züge von der Krise, die er eben durchgemacht hatte, verkrampft waren und dessen Schnurrbart herabhing.
    »Wollen Sie die Verantwortung für das, was noch geschehen kann, auf sich nehmen?«
    »Was soll denn noch geschehen?«
    »Sie machen einen Fehler, Martin!«
    »Was für einen Fehler?«
    Was war geschehen? Dieser Mann, der eben noch bereit war, zu reden, hatte vielleicht eine Minute lang zwischen den beiden Zimmern gestanden und zum Bett seiner Frau geblickt. Maigret hatte nichts gehört. Martin hatte sich nicht gerührt.
    Und jetzt schlief sie! Und er spielte den Unschuldigen!
    »Ich bitte um Entschuldigung … Ich glaube, es gibt Augenblicke, in denen ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht … Sie müssen zugeben, daß genug passiert ist, um einen den Verstand verlieren zu lassen …«
    Trotzdem blieb er traurig, ja verzweifelt. Er sah aus wie ein Verurteilter. Er vermied es, Maigret anzusehen, sein Blick irrte über die vertrauten Gegenstände und blieb schließlich auf dem Rundfunkempfänger hängen, den er aufzuheben begann, indem er sich mit dem Rücken zu Maigret auf den Fußboden hockte.
    »Um wieviel Uhr wollte der Arzt wiederkommen?«
    »Ich weiß nicht. Er hat gesagt ›heute abend‹ …«
    Maigret ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Er fand sich Auge in Auge mit der alten Mathilde, die so verdattert war, daß sie unbeweglich und mit offenem Mund stehenblieb.
    »Sie haben mir wohl auch nichts zu sagen, hm? Wollen Sie etwa auch behaupten, Sie wüßten von nichts?«
    Sie versuchte, sich wieder zu fassen. Sie hielt die Hände unter der Schürze verschränkt, in der unwillkürlichen Haltung einer alten Hausfrau.
    »Kommen Sie mit. Wir gehen zu Ihnen.«
    Sie schlurfte mit ihren Filzpantoffeln über den Flur und zögerte, die angelehnte Tür zu öffnen.
    »Machen Sie schon! Gehen Sie hinein …«
    Maigret ging ebenfalls hinein, trat die Tür hinter sich mit dem Absatz zu und blickte nicht einmal zu der Verrückten hinüber, die vor dem Fenster saß.
    »Jetzt erzählen Sie! Verstanden?«
    Und er ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf einen Stuhl fallen.
    9
    Der Mann mit dem Pensionsanspruch
    E
    rstens verbringen sie ihr Leben mit Zanken und Streiten!« Maigret zuckte nicht mit der Wimper. Er war schon bis zum Hals hinabgestiegen in diesen Alltagsschmutz, der noch widerlicher war als das Drama selbst.
    Der Gesichtsausdruck der Alten vor ihm war eine schreckliche Mischung aus Triumph und Drohung. Sie packte aus. Und sie würde noch mehr auspacken! Aus Haß auf die Martins, auf den Toten, auf alle Bewohner des Hauses, auf die gesamte Menschheit! Und aus Haß auf Maigret!
    Sie blieb vor ihm stehen, die Hände über ihrem großen schlaffen Bauch gefaltet, und es schien, als habe sie ihr ganzes Leben lang auf diesen Augenblick gewartet.
    Das war kein Lächeln, das ihre Lippen umspielte: das war schiere Glückseligkeit, die sie dahinschmelzen ließ!
    » Erstens verbringen sie ihr Leben mit Zanken und Streiten.«
    Sie hatte Zeit. Sie gab ihre Sätze tropfenweise von sich. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihre Verachtung für Leute zum Ausdruck zu bringen, die sich streiten.
    »Schlimmer als die Kesselflicker! Und das geht schon die ganze Zeit so! Manchmal frage ich mich, warum er sie nicht schon längst umgebracht hat.«
    »Ach! Sie rechneten damit, daß …?«
    »Wenn man in einem Haus wie diesem lebt, muß man mit allem rechnen.«
    Sie achtete auf ihren Tonfall. War sie eigentlich mehr widerwärtig als lächerlich oder mehr lächerlich als widerwärtig?
    Das Zimmer war groß. Darin stand ein ungemachtes Bett, mit grauen Laken, die gewiß noch nie im Freien zum Trocknen aufgehängt worden waren. Ein Tisch, ein alter Schrank, eine Kochplatte.
    In einem Sessel saß die Verrückte und blickte mit einem leichten, gerührten Lächeln vor sich hin.
    »Entschuldigen Sie! Bekommen Sie manchmal Besuch?« fragte

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