Maigret und das Schattenspiel
bin nicht verantwortlich …«
Er brauste auf.
»Und trotzdem bin ich es, der den ganzen Ärger am Hals hat! Zu mir kommen Sie, um mir diese Geschichten zu erzählen! Im Hausflur sehen die Mieter mich schief an … Ich wette, sie verdächtigen mich, Couchet umgebracht zu haben! Jawohl! Und was beweist mir übrigens, daß Sie mich nicht auch verdächtigen? Was wollen Sie eigentlich hier … Aha! Sie antworten nicht! Weil Sie es nicht wagen würden, mir eine Antwort zu geben … Man sucht sich immer den Schwächsten aus! Einen Mann, der sich nicht verteidigen kann … Und meine Frau ist krank … Und …«
Beim Herumfuchteln stieß er mit dem Ellbogen gegen den Rundfunkempfänger, der umkippte und mit dem Geklirr splitternder Röhren zu Boden krachte.
Der kleine Beamte kam wieder zum Vorschein.
»Ein Radioapparat für zwölfhundert Francs! Ich habe drei Jahre gewartet, bevor ich ihn mir leisten konnte …«
Ein Stöhnen drang aus dem Zimmer nebenan. Er lauschte angestrengt, rührte sich aber nicht.
»Braucht Ihre Frau nichts?«
Es war Maigret, der in das Zimmer hineinsah. Madame Martin lag noch im Bett. Ihre Blicke trafen sich, und Maigret hätte nicht sagen können, ob dieser Blick einen hellwachen Verstand verriet oder ob es ein Blick war, den das Fieber trübte.
Sie machte keinen Versuch zu sprechen. Sie ließ ihn gehen.
Im Eßzimmer hatte Martin die Ellbogen auf eine Anrichte gestützt und hielt den Kopf in beiden Händen, während er auf die Tapete wenige Zentimeter vor seinen Augen starrte.
»Warum sollte er sich umgebracht haben?«
»Nehmen Sie zum Beispiel einmal an, daß er es war, der …«
Stille. Ein Knistern. Ein stark brenzliger Geruch. Martin merkte nichts.
»Haben Sie irgend etwas auf dem Ofen stehen?« fragte Maigret.
Er ging in die Küche, aus der ihm blauer Dampf entgegenschlug. Auf dem Gasherd sah er einen kleinen Topf mit Milch stehen, der übergekocht war und zu zerspringen drohte. Er drehte den Gashahn ab, öffnete das Fenster und erblickte den Hof, das Laboratorium der Serumfirma und den Wagen des Geschäftsführers, der vor der Treppe parkte. Und er hörte das Klappern der Schreibmaschinen in den Büros.
Maigret ließ sich absichtlich Zeit. Er wollte Martin Gelegenheit geben, sich zu beruhigen, ja sogar, sich eine Haltung auszudenken. Er stopfte langsam seine Pfeife und setzte sie mit einem Gasanzünder, der über dem Herd hing, in Brand.
Als er in das Eßzimmer zurückging, hatte der Mann sich nicht vom Fleck gerührt, aber er war ruhiger geworden. Er stand seufzend auf, suchte nach einem Taschentuch und putzte sich geräuschvoll die Nase.
»Das wird böse enden, nicht wahr?« begann er.
»Es hat schon zwei Tote gegeben!« antwortete Maigret.
»Zwei Tote …«
Eine Anstrengung. Eine Anstrengung, die geradezu übermenschlich sein mußte, denn es gelang Martin, der gerade wieder die Nerven zu verlieren drohte, sich unter Kontrolle zu halten.
»Dann ist es wohl besser, wenn …«
»Wenn …?«
Der Kommissar wagte kaum zu sprechen. Er hielt den Atem an. Er spürte eine Beklemmung in der Brust, denn er fühlte sich der Wahrheit ganz nahe.
»Ja …« murmelte Martin wie zu sich selbst. »Was hilft’s! Es ist unumgänglich … un-umgänglich …«
Dennoch ging er mechanisch bis zur offenen Schlafzimmertür und warf einen Blick hinein.
Maigret wartete immer noch, unbeweglich und schweigend.
Martin sagte nichts. Man hörte auch die Stimme seiner Frau nicht. Dennoch spielte sich irgend etwas ab.
Die Situation zog sich in die Länge. Der Kommissar begann ungeduldig zu werden.
»Nun?«
Der Mann drehte sich langsam zu ihm um, mit einem neuen Gesicht.
»Was?«
»Sie sagten, daß …«
Monsieur Martin versuchte zu lächeln.
»Daß was?«
»Daß es besser sei, um weitere Tragödien zu verhindern …«
»Daß was besser sei?«
Er strich sich mit der Hand über die Stirn, wie jemand, der Schwierigkeiten hat, sich zu erinnern.
»Ich bitte um Entschuldigung! Ich bin so durcheinander …«
»… daß Sie vergessen haben, was Sie eben sagen wollten?«
»Ja … Ich weiß nicht mehr … Sehen Sie! Sie schläft …«
Er zeigte auf Madame Martin, die die Augen geschlossen hatte und deren Gesicht dunkelrot war, wahrscheinlich wegen des Eisbeutels auf ihrer Stirn.
»Was wissen Sie?« fragte Maigret in dem Ton, den man einem zu gerissenen Beschuldigten gegenüber anschlägt.
»Ich?«
Und von nun an würden alle Antworten von der gleichen Art sein! Er würde das tun, was man
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