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Maigret und das Verbrechen in Holland

Maigret und das Verbrechen in Holland

Titel: Maigret und das Verbrechen in Holland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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beobachtete.
    Er zögerte, weil er gesehen hatte, wie sich am Fenster des Zimmers, das dem jungen Mädchen gehörte, ein Vorhang bewegte. Dann hatte er ein Gesicht verschwi n den sehen. Es war schlecht zu erkennen gewesen. Aber Maigret hatte deutlich die leichte Bewegung einer Hand wahrgenommen, die vielleicht einfach grüßte, vielleicht aber auch sagen wollte:
    »Ich bin hier. Bestehen Sie nicht weiter darauf, mich zu sehen! Vorsicht!«
    Auf der einen Seite die Alte hinter der Tür. Auf der anderen Seite diese geisterhafte Hand. Und der Hund, der bellend am Zaun hochsprang. Ringsumher die K ü he, die in ihrer Bewegungslosigkeit künstlich wirkten.
    Maigret riskierte ein ganz kleines Experiment. Er ging zwei Schritte nach vorn, als ob er eintreten wollte. Er mußte lächeln, weil nicht nur hastig die Tür geschlossen wurde, sondern auch der Hund mit eingezogenem Schwanz zurückwich.
    Diesmal ging der Kommissar endgültig und nahm den Weg dem Amsteldiep entlang. Aus diesem Empfang ergab sich nur, daß Beetje eingeschlossen worden war und der Bauer Anweisung gegeben hatte, den Franzosen nicht hereinzulassen.
    Maigret rauchte in kleinen Zügen bedächtig seine Pfeife. Er schaute einen Augenblick auf die Holzstapel, an denen das junge Mädchen und Popinga steheng e blieben waren, sicher oft stehengeblieben waren, mit e i ner Hand das Rad hielten, mit dem freien Arm sich u m schlangen.
    Und es war immer noch alles ruhig. Von einer heit e ren, fast zu vollkommenen Ruhe. Einer Ruhe, bei der ein Franzose glauben konnte, daß dieses ganze Leben hier so unwirklich wie auf einer Postkarte war.
    Zum Beispiel drehte er sich plötzlich um und sah ein Schiff mit hohen Steven, das er nicht hatte kommen h ö ren. Er erkannte das Segel wieder, das breiter als der K a nal war. Es war das gleiche, das er vorher am Horizont ges e hen hatte und das schon hier war, obwohl es u n möglich schien, daß es die lange Strecke schon zurüc k gelegt hatte.
    An der Reling stand eine Frau und gab einem Baby die Brust, während sie mit der Hüfte das Steuerruder bewegte. Und auf dem Bugspriet saß rittlings ein Mann, ließ seine Beine über dem Wasser baumeln und reparie r te ein Tau.
    Das Schiff fuhr an Wienands, dann an Popingas Haus vorbei, und sein Segel war höher als die Dächer. Für e i nen Augenblick bedeckte es die ganze Fassade mit einem großen, beweglichen Schatten.
    Wieder einmal war Maigret stehengeblieben. Er z ö gerte. Das Dienstmädchen der Popingas fegte gebückt die Eingangsstufen. Die Tür stand offen.
    Sie fuhr zusammen, als er plötzlich hinter ihr stand. Ihre Hand mit dem Putzlappen zitterte.
    »Madame Popinga?« sagte er und deutete ins Hausi n nere.
    Sie wollte vor ihm hineingehen. Aber der Scheuerla p pen, aus dem das Schmutzwasser tropfte, hinderte sie daran. Er ging zuerst in den Flur. Im Wohnzimmer hö r te er eine Männerstimme, und er klopfte.
    Plötzlich war alles still. Total still. Mehr noch als still: ein Abwarten, in dem jedes Leben stillstand.
    Schließlich zwei Schritte. Eine Hand drehte den Tü r knopf im Innern. Die Tür ging auf. Maigret sah zuerst Any, die ihm gerade geöffnet hatte und ihn unfreundlich anstarrte. Dann erkannte er die Gestalt eines Mannes nahe am Tisch, mit blaßroten Gamaschen und einem groben Tuchanzug.
    Bauer Liewens!
    Hinter ihnen Madame Popinga, die sich mit dem El l bogen am Kamin aufstützte und das Gesicht hinter der Hand verbarg.
    Offensichtlich hatte die Ankunft des Eindringlings eine wichtige Unterhaltung unterbrochen, einen dram a tischen Auftritt, vielleicht auch einen Streit.
    Auf dem Tisch mit der gestickten Überdecke lagen wirr durcheinander Briefe, so, als ob sie mit einer heft i gen Bewegung hingeworfen worden wären.
    Das Gesicht des Bauern zeigte äußerste Erregung, er hatte sich aber auch am schnellsten wieder in der G e walt.
    »Ich störe wohl …« begann Maigret.
    Niemand antwortete. Niemand machte den Mund auf. Doch verließ Madame Popinga nach einem träne n verschwommenen Blick das Zimmer und rannte beinahe in die Küche.
    »Glauben Sie, es tut mir leid, wenn ich Ihre Unterha l tung unterbreche …«
    Endlich sagte Liewens etwas auf holländisch. Er sprach zu dem jungen Mädchen ein paar schneidende Sätze, und der Kommissar fragte:
    »Was hat er gesagt?«
    »Daß er wiederkommt! Daß die französische Polizei …«
    Sie stockte und versuchte weiterzureden:
    »… von einer bodenlosen Unverschämtheit ist, nicht wahr?« sagte stattdessen der Polizeibeamte.

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